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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Messias hervorzubringen und den göttlichen Funken leuchten zu lassen. Es wird Zeit.« Der alte Jude nickte bedächtig und sah Hilarius fest an. Dann fuhr er fort: »Selbst der Kaiser ist von der Raserei angesteckt worden. Rudolf der Zweite hat sich ganz den dunklen Künsten ergeben. Er frönt der Alchemie und holt die angeblich bedeutendsten Köpfe dieser sogenannten Wissenschaft nach Prag. Doch er probiert sich auch an noch viel finstereren Künsten. Und die Hexen schwärmen über die Stadt und das Land, und Nekromanten und Teufelsbeschwörer bieten ihre Dienste in den Straßen und Gassen feil. All das ist dein Glaube, Hilarius, all das ist die dunkle Seite deines Denkgebäudes. Auch wir haben unsere dunkle Seite, und auch wir spüren bereits den schwarzen Atem des Herrn. Doch diese Schrecken sind gleichzeitig unsere Rettung, denn ohne sie käme der Messias nicht. Ohne Schatten braucht es kein Licht, um sie zu vertreiben. Du musst deinen Begleiter mitnehmen; ich glaube, er wird dir von sehr großem Nutzen sein. Le’schanah habah bi’jeruschalaim!«
     
    »Le’schanah habah bi’jeruschalaim!«, antworteten die dreizehn anderen mit einer einzigen Stimme.
     
    »Was heißt das?«, fragte Hilarius in die Runde.
     
    Federlin antwortete darauf in zugleich traurigem und überheblichen Tonfall: »Sie drücken ihre Hoffnung aus, nächstes Jahr in Jerusalem zu sein – in der ihnen verheißenen Stadt.«
     
    »Wer bist du?«, fragte der Pater den Gaukler noch einmal.
     
    »Es wird Zeit, dass wir die Vorbereitungen treffen«, sagte Federlin nur. Meisl nickte, und alle erhoben sich.
     
    »Was für Vorbereitungen?«, fragte Hilarius, dem die ganze Sache immer weniger gefiel.
     
    Schemuel Meisl trat einen Schritt auf ihn zu und erklärte: »Oh, zunächst müssen wir deine Beschneidung nachholen.«
     
    »Niemals!«
     
    »Ich verstehe, dass du damit nicht einverstanden bist, aber wenn nicht das äußere Zeichen der Zugehörigkeit zu deinem Volk …«
     
    »Ihr seid nicht mein Volk!«, unterbrach Hilarius ihn zornig.
     
    »… zu deinem Volk existiert, könnte die Zeugung des Messias fehlschlagen«, beendete Meisl ruhig den Satz.
     
    »Oder die Zeugung des Antichrist«, sagte Hilarius grimmig. »Vielleicht sollte ich ja das versuchen, denn der Antichrist gehört wenigstens zu meinem Glauben, euer seltsamer Messias hingegen nicht, wenn ihr schon Jesus Christus nicht anerkennt.«
     
    »Ob du den Messias oder den Antichrist zeugst, liegt nicht in deinem Ermessen und in deiner Macht«, sagte David Tebel. Langsam schien ihn die Geduld zu verlassen. »Wie dem auch sei, wir müssen nun zur Tat schreiten.«
     
    »Auf keinen Fall!«, rief Hilarius. Die Tür war nicht mehr weit. Die Juden waren alt und schwach. Er drückte zwei von ihnen zur Seite und war bereits an der Tür. Doch unzählige Arme packten ihn an den Schultern und Händen, bevor er die Klinke herunterdrücken konnte.
     
    »Du kannst dich nicht wehren«, hörte er hinter sich Federlin sagen.
     
    »Man wird euch ausräuchern! Man wird euch in eurem babylonischen Turm verbrennen! Man wird euch jagen!«, schrie Hilarius. Es gelang ihm nicht, sich aus den vielen Händen zu befreien. Wenn er eine abgeschüttelt hatte, umkrallten ihn zwei neue.
     
    »Ich glaube nicht«, sagte Meisl ruhig; er gehörte nicht zu denen, die Hilarius festhielten. »Wir stehen unter dem Schutz des allerhöchsten Kaisers Rudolfs des Zweiten, der uns diesen Turm zur Verfügung gestellt hat, damit wir unsere kabbalistischen Experimente durchführen können.«
     
    Hilarius versteifte sich. »Ihr nehmt die Hilfe eines Teufelsbeschwörers an, obwohl ihr um seine dreckigen Praktiken wisst? Was soll ich euch denn noch glauben! Ihr paktiert mit dem Abgrund, der euch zu verschlucken droht!«
     
    Ohne eine Antwort darauf drückten sie ihn durch die Tür und führten ihn auf einer lang gezogenen, spiralförmigen Treppe nach unten – hinab zwischen die Fundamente des Turms. Auf dem Weg dorthin nahmen sie einige Fackeln, die in Halterungen an den Wänden steckten, und entzündeten sie. Dann stießen sie die Tür zu einem unterirdischen Verlies auf, das Hilarius unangenehm an die vielen Folterkeller erinnerte, in denen er bereits zugegen gewesen war und den Geständnissen der Hexen gelauscht hatte.
     
    Auch dieser Raum war kreisrund; sein Durchmesser aber war viel kleiner als jenes Zimmer im oberen Teil des Turms. Auf den Boden in der Mitte waren mit roter Kreide zwei konzentrische Kreise gemalt,

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