Der schwarze Atem Gottes
willst du mich ihm bloß ausliefern?«
»Warum hätte ich dich dann aus seinen Klauen errettet?«
»Nicht du hast mich gerettet, sondern mein treuer Gehilfe Martin.«
»Vertrau mir.«
»Warum sollte ich? Du hast Martin niedergeschlagen, du kennst den Grafen, du lässt mich über deine Absichten im Unklaren. Was geht dich die ganze Sache überhaupt an?« Hilarius war lauter geworden, als er beabsichtigt hatte.
Federlin legte einen Finger über den Mund und flüsterte dann: »Ich kämpfe nicht auf der Seite des Grafen; das musst du mir glauben.«
»Auf wessen Seite kämpfst du dann? Du kannst mir nicht mehr weismachen, dass du nur durch einen Zufall zu mir und Martin gestoßen bist.«
»Wenn ich es dir sage, wirst du mir nicht glauben. Also lasse ich es sein.«
Pater Hilarius beugte sich so weit vor, bis sein zweiter Kopf an die Tischplatte stieß. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn. Und einen Augenblick lang sah er durch Federlin hindurch auf die eufeuumrankte Mauer hinter den Fenstern.
Sie war lebendig geworden.
Die Backsteine waren menschliche Gesichter, und der Efeu war Schlangen und Würmer, die sich in jene Gesichter hineinfraßen. Und dann hörte er die unerträglichen Schmerzensschreie der gefolterten Gesichter.
»Du siehst es«, stellte Federlin fest.
»Was sehe ich?«, fragte Hilarius scharf.
»Die Zukunft der Welt.«
Hilarius bedeckte das Gesicht mit der rechten Hand. Er stöhnte auf. »Es ist nichts«, sagte er trotzig. »Ich bin krank.«
»Nein, die Welt ist krank«, antwortete Federlin darauf. Seine Stimme schien von weither zu kommen. Hilarius nahm die Hand weg und sah in die verschiedenfarbigen Augen des Gauklers. »Und sie wird an ihrer Krankheit sterben, wenn wir nichts dagegen unternehmen«, setzte der Gaukler hinzu.
»Was ist das für eine Krankheit?«, wollte Hilarius wissen.
»Neugier, gepaart mit Verständnislosigkeit und Bosheit.«
»Glaubst du dieses Gerede von der Zeugung des Messias wirklich?«
»Die Juden glauben es.«
»Das ist nicht wichtig.«
»Im Gegenteil: Das ist das Einzige, was wichtig ist«, erwiderte Federlin, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander. »Weißt du nicht, dass der Glaube Berge versetzen kann? Die Religion der Juden hängt wie jede andere Religion davon ab, dass sie geglaubt wird. Der Glaube macht sie wahr, macht sie zur Wirklichkeit, setzt sie in das Sein. Wenn also die Juden glauben, dass der Messias noch nicht erschienen ist, dann ist er noch nicht erschienen – für sie. Und wenn sie glauben, dass er unter dem schwarzen Atem Gottes gezeugt werden kann, dann kann er es auch.«
»Und was ist mit dem Grafen? Will er auch die Zeugung des Messias bewirken? Das kann ich nicht glauben.«
Federlins Augen verdunkelten sich. »Nein, der Graf will den Antichristen erschaffen – durch dich.«
»Wie kann das denn möglich sein: dass ich gleichzeitig in der Lage sein soll, das unendlich Gute und das unendlich Böse hervorzubringen? Das ist doch undenkbar!«
Federlin lächelte. »Nein, das ist es nicht. Es verhält sich genau so, wie es die Kabbalisten in dem Turm dir erklärt haben. Keine Tat an sich ist gut oder böse; es kommt nur darauf an, wie man sie sehen will; wie man sie benutzt. Jede Tat hat zwei Seiten, so wie jede Münze zwei Seiten hat; Münzen mit nur einer Seite gibt es nicht.«
»Und was soll ich deiner Meinung nach tun, wenn wir diesen Kabbalisten gefunden haben?«
»Diese Frage wird erst dann wesentlich, wenn wir ihn wirklich gefunden haben. Und genau darin liegt die Schwierigkeit. Niemand weiß, wer er ist oder wo er sich aufhält, auch wenn in den Gassen der Judenstadt unzählige Gerüchte über ihn herumschwirren. Nicht einmal Graf Albert von Heilingen weiß es. Aus diesem Grund habe ich einen Pakt mit ihm geschlossen.«
»Einen Pakt?« Hilarius riss ungläubig die Augen auf.
»Der Graf glaubt, dass ich auf seiner Seite bin. Keiner von uns beiden wird sich gegen den anderen wenden, solange nicht der Kabbalist gefunden ist. Und dann schlägt deine große Stunde. Bis dahin bist du hier so sicher wie in Abrahams Schoß.«
»Ich weiß nun, was der Graf will und was die Juden wollen – aber ich weiß immer noch nicht, was du willst, Federlin, Mann mit dem Namen eines Teufelsbuhlen.«
»Vertraust du mir nicht endlich?«
»Wem sollte ich überhaupt noch
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