Der schwarze Atem Gottes
vertrauen?«
Federlin setzte sich breitbeinig vor den Tisch und stützte den Kopf mit den Händen auf. »Vertraue deinem Gott.«
»Wer ist denn mein Gott? Der des Alten oder der des Neuen Testamentes?«
Federlin sah ihn belustigt an. »Wenn du selbst das nicht weißt, wieso soll ich es dann wissen?«
Als Federlin das Parlatorium verließ, wäre er beinahe mit dem Abt zusammengestoßen. Der Gaukler sagte etwas zu dem Abt, worauf dieser vor dem Gaukler zurückwich und ihn vorbeiließ, während er so etwas wie eine winzige Verbeugung andeutete. Abt Ansgar sah dem seltsamen Gesellen dann lange nach. Schließlich wandte er sich an Hilarius, der noch immer reglos auf seinem Stuhl gegenüber den Fenstern saß, und sagte mit seiner weichen, hellen Stimme: »Wir sind froh, dich bei uns zu haben, Hilarius. Du bist der Garant dafür, dass das Böse nicht über uns hinwegbraust wie ein Herbststurm.«
Und das Böse brauste durch die Gedanken des Paters wie ein verheerender Orkan. Die Bilder, die sich mit dem überlagerten, was er mit seinen eigenen Augen sah, waren so stark, dass sie ihm den Atem nahmen. Diese Dunkelheit! Diese Kavernen, Höhlen, Verliese, dieses lebendige Unbelebte, das den Toten noch tausend weitere Tode bereitete, diese Schreie, dieser Geruch der äußersten Angst, dieser Gestank des Entsetzens … Was redete der Abt da?
Abt Ansgar fuhr fort, während er bewundernd auf den funkelnden Saphir an seiner rechten Hand schaute: »Wer war dieser Mann, der dich hier besucht hat? Der Bruder Pförtner sagte mir, dass er einen sehr merkwürdigen Eindruck auf ihn gemacht hat.«
»Ein Freund von mir.«
»Du hast seltsame Freunde. Wirklich sehr seltsame Freunde. Umso lieber beherbergen wir dich in unseren Mauern, denn du bist ein heiliger Mann.«
Diese Worte erstaunten Hilarius. Warum war der Abt nun so unterwürfig ihm gegenüber?
»Doch ich suche dich aus einem anderen Grund auf«, sagte der Abt. »Einige Männer haben an unsere Pforte geklopft, und wir konnten nicht umhin, ihnen zu öffnen. Sie warten draußen. Darf ich sie jetzt gleich zu dir schicken?«
»Wer sind sie?«, fragte Hilarius voller Zweifel.
»Das können sie dir selbst sagen.« Der Abt ging zur halb offen stehenden Tür und rief nach draußen in den sich langsam verdunkelnden Korridor: »Kommt herein. Er ist hier.« Dann zog er sich ohne ein weiteres Wort an Hilarius zurück.
Hilarius rückte sich den Stuhl zurecht, sodass er die Eintretenden sofort sehen konnte und ihnen nicht den Rücken zudrehte. Hatte Federlin nicht gesagt, dass er hier so sicher wie in Abrahams Schoß sei? Aber was wogen die Worte Federlins?
Zwei Männer in eleganter Kleidung betraten das Parlatorium. Ein Wams mit Schößchen, eine Spitzenkrause, modisch weite Hosen, die nicht einmal bis zum Knie reichten, weiße Strümpfe und Riegelschuhe – das war nicht die Tracht der Juden. Nicht die Tracht der Armen.
»Ihr seid der weitbeschreite Hexenschnüffler Hilarius?«, fragte der eine, der einen Spitzbart trug, welcher bei jedem Wort mitwippte. Hilarius nickte bloß.
»Wir kommen von Seiner Eminenz, dem Erzbischof von Prag, der dringend Eurer Hilfe bedarf.«
»Worum geht es denn?«, fragte Hilarius verwirrt.
Die Antwort, die der Pater erhielt, entsetzte ihn zutiefst.
27. Kapitel
Die feuchte Kälte war nicht das Schlimmste. Auch nicht der Gestank und das Zwielicht, in dem man kaum etwas deutlich erkennen konnte. Das Schlimmste waren die Menschen.
Einige stöhnten nur, andere brummten unverständliche Laute, wieder andere schrien ihre Wut heraus. Martin saß still da und beobachtete das wahnsinnige Treiben in dem fensterlosen Kerker um ihn herum. Das einzige Licht fiel durch die Gitterstäbe, mit denen der Kerker von dem Rest des Gefängnisses unterhalb der Burg abgetrennt wurde. Einige Gefangene sahen so aus, als säßen sie schon seit Jahrzehnten hier ein. Sie trugen nichts als dreckstarrende Lumpen; ihre Gesichter waren mit Geschwüren übersät, und Bart und Haupthaar bedeckte sie wie ein Pelz. War das hier das Ende?
Wie mochte es Maria gehen? Martin wusste, dass sie in denselben Mauern einsaß wie er, im Frauenteil, bei den Kindsmörderinnen und den Hexen. Den ganzen Weg vom Sabbatplatz bis ins Weichbild der Stadt hatte er versucht, den Bütteln und dem Priester klarzumachen, dass sie nur ein Opfer der Umstände waren und dass Martin in Wirklichkeit Mönch
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