Der schwarze Atem Gottes
Richter schaute seinen geistlichen Beistand fragend an. Offensichtlich verstand er kein Latein. Der Priester sagte: »Ohne Fehl und Tadel. So gut können es die meisten Ortsgeistlichen nicht. Ich glaube, dass er wirklich ein Mönch ist. Büttel, führ ihn in den erzbischöflichen Kerker!« Leiser sagte er zu dem Richter: »Wieder einer erledigt.«
Der städtische Wachmann packte Martin unsanft, band ihm die Hände auf dem Rücken zusammen und stieß ihn aus dem Raum.
Zu Fuß ging es durch die breiten, belebten Straßen. Der Büttel hielt Martin so fest gepackt, dass jeder Fluchtversuch sinnlos war. Einmal, als der junge Mönch glaubte, sein Bewacher habe den Griff etwas gelockert, versuchte er zu entwischen, doch es gelang ihm nicht. Also ließ er sich wie ein Stück Vieh zum erzbischöflichen Palais treiben.
Er wurde sofort dem Scharfrichter vorgeführt, der anordnete, dass Martin sich ausziehen sollte. Dann suchte er die Haut des Mönchs nach dem Hexenmal ab. Er schien verwirrt zu sein, dass er keines fand. Schließlich musste Martin ein härenes Büßergewand anziehen und wurde in eine Zelle geworfen, in der es hoch oben sogar ein winziges, vergittertes Fenster gab, durch welches das Licht des scheidenden Tages besänftigend hereinschimmerte.
Nur ein einziger weiterer Gefangener saß in dieser Zelle. Er tat zunächst so, als bemerke er Martin nicht, sondern schaute gebannt auf die sich rasch wieder schließende Eisentür. Dann senkte er den Kopf und murmelte etwas. Auch er trug ein grobes Büßergewand. Martin stellte sich vor das Fenster, das leider zu hoch oben in der Wand steckte, um hindurchsehen zu können. Und natürlich gab es keinen Stuhl oder Tisch in der engen Zelle. So blieb das helle, kleine Geviert nichts als eine leere Verheißung.
Martin lauschte dem Murmeln des anderen Gefangenen. Er fand heraus , dass es sich um die Psalmen handelte, die der Mann mit starrem, nach unten gerichtetem Blick unablässig aufsagte. Schließlich hielt er einen Augenblick inne, hob den Kopf und sah Martin aus irren Augen an. »Zauberei?«, krächzte er.
»Ich bin unschuldig«, verteidigte sich Martin. »Ich bin das Opfer einer Hexensekte und hoffe, das erzbischöfliche Gericht von meiner Unschuld überzeugen zu können.«
Der Mann lachte gurgelnd, als habe Martin einen guten Witz gemacht. »Unschuldig!«, rief er. »Wir sind alle unschuldig! Aber nur die Schuldigen werden überleben! Wenn überhaupt jemand überleben wird!«
Sein Geist war offensichtlich verwirrt. Martin empfand seinen Zellengenossen als unheimlich. Was er wohl verbrochen haben mochte? Der junge Mönch wagte nicht zu fragen. Der Mann nahm sein Psalmengemurmel wieder auf.
Martin beobachtete das rasch dunkler werdende Fenstergeviert, bis es sich kaum mehr von der nachtfinsteren Wand abhob. Dann kauerte er sich auf den Boden – auch hier gab es weder ein Bett noch eine Pritsche, sondern nur etwas Stroh und einige raue Decken – und versuchte zu schlafen. Irgendwann war auch sein Zellengenosse ruhig, und Martin hörte seine tiefen Atemzüge. Von draußen drangen leise Straßengeräusche herein, und manchmal hörte er einen Nachtwächter. Irgendwann schlief er ein.
Er wurde unsanft von einem Wächter geweckt und aus der Zelle geschleppt. »Jetzt trittst du vor deinen Richter, Zauberer«, brummte ihn der Wächter an und stieß ihn in ein Zimmer von der Art, die er inzwischen nur allzu gut kannte. Es war jedoch kleiner als das des weltlichen Gerichts, und es gab nur zwei Personen, denen er gegenüberstand: ein geistlicher Richter und ein Notar.
»Name!«, raunzte ihn der Notar an …
Nachdem auch diese Formalien erledigt waren, ergriff der Richter das Wort. »Du bist also der Gehilfe des heiligmäßigen Hilarius?« Er hob versonnen das kleine silberne Kreuz hoch, das er an einer langen Kette um den Hals trug, und schaute es an. »Wie kann das Böse so nahe bei dem Heiligen gedeihen?« Nun richtete er seinen sengenden Blick auf Martin.
»Ich bin nicht böse«, verteidigte sich Martin. »Ich bin ein Opfer der Umstände geworden.«
Der Richter grinste breit. Er sah aus wie ein Fisch, fand Martin. Wie ein fetter Karpfen. »Natürlich! Alle sind immer nur Opfer der Umstände. Selbst der Teufel kann nichts dafür, dass er so ist, wie er ist! Gott hat ihn dazu gemacht, nicht wahr?«
»Ich wurde von einem Mitglied der Hexensekte zum Sabbat entführt …«
»Notar, schreibt das auf:
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