Der schwarze Atem Gottes
Ghettos, in das man nur durch eine Handvoll Tore eindringen konnte – eine Stadt innerhalb einer größeren Stadt, ein Kosmos für sich, abgetrennt, nicht unzugänglich, aber dennoch geheimnisvoll in seiner drangvollen Enge, seinem Lärm, seinen gewundenen Gassen und schiefen, sich hoch zum Himmel reckenden Giebelhäusern.
Hilarius hatte die Judenstadt zusammen mit Federlin durch das Tor an der Breiten Gasse betreten und war dann über diese in der Tat recht breite Straße, die so etwas wie die Hauptstraße des Ghettos bildete, geritten, wobei sie von den Passanten interessiert beobachtet und belächelt wurden. Sie hatten wahrscheinlich ein seltsames Bild abgegeben: der dicke und zugleich dürre Pater, der vor dem gewandten Gaukler wie ein Affe im Sattel kauerte und es kaum wagte, nach rechts oder links zu schauen, und sich von Federlins Ortskenntnis treiben ließ. Die Breite Gasse ging in die sehr viel schmälere Schwarze Gasse über, von der aus Federlin nach links in die Kreuzgasse einbog.
Dieser Lärm – von Karren, Pferden, Menschen; dieser Gestank – nach Mist, Exkrementen, Gewürzen; all die sich aneinanderschmiegenden schmalen und hohen Häuser mit ihren unzähligen Fenstern, die, wenn sie nicht gerade nach außen aufgestellt waren, wie blinde Augen in die Gassen starrten. In keiner christlichen Stadt hatte Hilarius bisher ein solches Treiben gesehen. So mochte es auf dem Basar in Jerusalem zugehen oder in einer orientalischen Kasbah.
Satzfetzen umschwirrten Hilarius wie flatternde Bänder, und es beunruhigte ihn, dass er kaum etwas davon verstand. Jiddisch und Hebräisch. Diese Fremdartigkeit flößte ihm Entsetzen ein, und dabei trug er doch die gleiche Fremdartigkeit in sich selbst! Aber nicht nur die fremde Sprache und die unverständlichen Handlungen der Menschen machten ihm Angst. Es war, als spreche aus jedem ihrer Worte eine schlecht verhohlene Furcht. Oft schauten sie hinter sich, als ob sie erwarteten, dass etwas sie verfolge.
Doch es war nicht nur in den Menschen, sondern auch in den Schatten, die die spitzen, vorkragenden Giebel und die tief herabhängenden Traufen warfen. Und in den Schatten jener unglaublich engen Gassen, die sich wie Tunnel zwischen gewisse Häuser gebohrt hatten. Es war, als lebten diese Schatten, als bewegten sie sich aus sich selbst heraus, als formten sie in irrem Spott menschliche Umrisse, nur um sie sofort wieder zu etwas Unnennbarem einzuschmelzen. Und manchmal hörte er ihr Zischeln und Rascheln durch den Lärm der Menschen hindurch. Einmal glaubte er sogar, einen Schattenarm gesehen zu haben, der nach den Fesseln ihres Pferdes griff. Das Pferd scheute tatsächlich, doch Federlin konnte es zum Glück wieder beruhigen.
Er war heilfroh gewesen, als der Gaukler ihn an der Pforte des Klosters abgesetzt hatte. Sie hatten vereinbart, dass der Gaukler noch am Abend, nach der Vesper, zu ihm kommen und ihm von seiner Suche nach jenem namenlosen Juden berichten sollte, der angeblich die Pforte zur Hölle – oder zum Himmel? – errichtet hatte.
»Du bist Pater Hilarius?«, riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken.
Ein alter, beleibter Mann war eingetreten, über dessen schwarzer Kutte ein großes Kreuz aus Amethyst glänzte. Hilarius trat auf ihn zu, kniete sich vor ihn und küsste den fetten Saphirring, der an der fleischigen Rechten des Abtes steckte. Dann stand er rasch wieder auf.
»Ich bin es. Darf ich Euch darum bitten, mir zu berichten, was mit meinem geliebten Kloster Eberberg geschehen ist?«
Der Abt kam dem Wunsch des Hexenpaters nach. Je mehr Hilarius hörte, desto niedergeschlagener wurde er. Als er die ganze grausame Wahrheit gehört hatte, setzte er sich auf einen der Stühle, ohne dass ihn der Abt dazu aufgefordert hätte. »Wann ist das alles passiert?«, fragte er im Flüsterton.
»Wir wissen es nicht genau; die Angaben widersprechen einander«, sagte der Abt und blickte mit einer Mischung aus Mitgefühl und Überheblichkeit auf den Hexenpater herab. »Was gedenkst du nun zu tun?«
»Kann ich für einige Tage Eure Gastfreundschaft in Anspruch nehmen?«
»Selbstverständlich. Der Bruder Pförtner wird dir eine Zelle im Gästehaus anweisen. Gott sei mit dir, mein armer Bruder.« Abt Ansgar verließ ohne eine weitere Geste des Mitleids das Parlatorium.
Kurz darauf wurde Hilarius von dem Pförtner abgeholt. Dieser führte ihn aus dem Konventsgebäude hinaus auf den lehmverklebten Vorhof und hinüber
Weitere Kostenlose Bücher