Der schwarze Atem Gottes
mirifico oder sein De arte cabbalistica ?«
Martin hatte noch nie von diesen Büchern gehört. Er hatte kein Interesse am Judentum, kein Interesse an den Mördern Christi. Wie Hilarius immer gegen sie gewettert hatte! Hilarius … Wo mochte er jetzt sein?
»Schade«, sagte der Priester. »Dann kann ich mit dir nicht darüber reden. Dann wirst du auch nicht die Sefiroth kennen und nicht den Adam Kadmon und nicht das En Soph. Dann wirst du mich nicht verstehen.« Der Priester kratzte sich am stoppeligen Kinn.
»Warum bist du hier?«, wollte Martin wissen; vielleicht ließ sich daraus ein vernünftiges Gespräch entwickeln.
»Wegen der Kabbala.«
Ein Kreis. Alles nur Kreise , dachte Martin.
Er seufzte und stand wieder auf. Seine Beinmuskeln schmerzten.
»Du verstehst mich nicht«, beklagte sich der Priester und wickelte sich fest in eine der Decken ein, als könne sie ihm Schutz vor der Welt gewähren. »Aber es hat keinen Sinn, es dir zu erklären, denn es wird dir nicht möglich sein, von diesem Gebäude aus irgendwo anders hinzugehen als zum Scheiterhaufen.«
Martin hörte ihm kaum mehr zu. Er war wieder zu tief in seinen eigenen Kummer versunken.
»Dennoch: Es muss jemand wissen. Ich kann dieses Geheimnis nicht mit ins Grab nehmen. Vielleicht gelingt dir ja doch die Flucht – obwohl du dann der Erste wärest. Also: Ich wurde bei Experimenten erwischt, mit denen ich die Pforte zerstören wollte. Natürlich waren es kabbalistische Anrufungen und Beschwörungen, denn die Pforte wurde ja mithilfe der Kabbala errichtet. Die Pforte ist ein Mensch.« Er machte eine Pause; offenbar hoffte er, Martin damit verblüfft zu haben.
Doch warum sollte er sich im Angesicht des eigenen Todes noch von wirren und irren Aussagen verblüffen lassen?
Der Priester seufzte und fuhr fort: »Dieser Mann muss gefunden werden, denn nur dann kann das Tor zu den Sefiroth vernichtet werden. Nur dann kann das Ende der Welt abgewendet werden.«
Das Ende der Welt … Und was war, wenn dieser verrückte Priester wirklich etwas darüber wusste? Hielt er dann nicht den Schlüssel zu allen Geheimnissen in der Hand, die Martin bedrängten, seit er mit Hilarius von Volkach aufgebrochen war? »Wer ist dieser Mann? Kennst du ihn? Hast du mit ihm gesprochen?«
»Aha, ich sehe, dass du neugierig wirst. Das ist gut. Sehr, sehr gut.« Der Priester kicherte unter seiner Decke hervor. »Du musst wissen, dass ich verwickelte kabbalistische Experimente durchgeführt habe, die noch kein Christ vor mir unternommen hat. Und dabei haben mich diese Holzköpfe erwischt und unter dem Vorwand der Zauberei hierher geschleppt. Sie sind im Bunde mit dem Bösen! Alle sind im Bunde mit dem Bösen!« Der Priester war laut geworden. Ängstlich schaute er sich in der immer dunkler werdenden Zelle um. Die Abenddämmerung kroch langsam durch das kleine Fenster und legte sich auf die Seelen der Gefangenen. Sonst rührte sich nichts.
Der Priester sprach weiter: »Ich habe diesen Juden nie gesehen. Er ist ein kleiner Kabbalist, und selbst der hochgelehrte Rabbi Löw war fassungslos, als er von den Experimenten hörte. Oh ja, ich kenne den Rabbi Jehuda Löw. Er ist ein guter Mensch. Vergiss alles, was du über die Juden gehört hast. Es sind nichts als Verleumdungen! Du wirst dich mit ihnen zusammentun müssen, wenn du hier herauskommst … o ja, das musst du.« Wieder dieses abscheuliche Kichern.
»Wie heißt er?«, fragte Martin ungeduldig. Er wollte dieses Gespräch so rasch wie möglich beenden. Es machte ihm Angst.
»Sein Name ist Wolf Auerbach. Er ist das Tor, er ist die Pforte.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Du kannst es nicht verstehen. Ich verstehe es auch nicht. Es ist ein großes Geheimnis. Das größte, das es auf Erden gibt. Es ist nicht für die Menschen gedacht. Und deshalb bricht das Ende der Zeiten an, wenn nicht verhindert wird, dass sich diese Pforte öffnet. Auerbach, dieser Narr, hat geglaubt, er könne den Messias herbeirufen. Stattdessen hat er den schwarzen Atem Gottes entfacht. Ich weiß auch nicht, was das alles wirklich bedeutet. Ich weiß nur, dass das Ende nahe ist.«
»Kennst du diesen Wolf Auerbach?«, fragte Martin und hockte sich wieder vor den Priester, in dessen Augen nun nichts anderes mehr wohnte als die Angst.
»Bin ihm nie begegnet, aber ich habe seinen Namen von jemandem gehört, der ihm begegnet war. Brauchst diesen nicht ausfindig zu machen,
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