Der schwarze Atem Gottes
der war genauso unschuldig wie sie selbst. Niemals würde sie seinen Namen vor diesem Gericht nennen, welchen Qualen man sie auch immer unterwerfen mochte! Doch was war mit dem Grafen? Sollte sie ihn denunzieren? Er war doch für ihr ganzes Elend verantwortlich. Aber würde man ihr glauben? Ein Adliger als Mitglied der Sekte? Außerdem hatte sie selbst jetzt noch Angst vor ihm.
»Wie sahen sie denn aus?«
»Sie … haben Masken getragen.«
»Masken! Ich habe diese Ausreden satt!« Der Richter wurde weiß vor Zorn. Jetzt war er kein gütiger Vater mehr. »Zieht sie wieder hoch!«
Maria spürte, wie sich das Seil in ihrem Rücken wieder straffte. Noch einmal würde sie diese Tortur nicht mehr aushalten. Sie dachte fieberhaft nach. Gab es denn nichts, was sie dem Richter sagen konnte? Da fiel ihr das junge, unscheinbare Mädchen ein, das während des Sabbat in einer blasphemischen Zeremonie in die Hexensekte aufgenommen worden war. Wie lautete noch gleich ihr Name? Ziegenbärtin … Barbara …
Das Seil zerrte ihr die Arme hinter dem Rücken nach oben. Rasende Schmerzen liefen ihr von den Schultern durch den ganzen Körper.
»Barbara …!«, keuchte sie.
Der Richter gebot dem Knecht mit einem Handzeichen Einhalt. »Barbara – und wie lautet ihr Nachname?«
Maria zermarterte sich das Gedächtnis. Lingrin? Landrin? Ladin? Nein, halt! Es fiel ihr wieder ein. »Barbara Längin!«, rief sie. »Sie wurde mit Namen genannt, weil sie eine Novizin war! Die Namen der anderen kenne ich aber wirklich nicht!«
Das Seil wurde wieder herabgelassen.
»Nun gut, ich will dir glauben«, sagte der Richter, der jetzt wieder der weise Vater war. »Wenigstens hast du einen Namen genannt. Von hier aus werden wir weiterkommen. Schafganz, veranlasst das Nötige.«
Der Notar hörte auf zu schreiben, verbeugte sich kurz, aber tief vor dem Richter, murmelte: »Ja, Euer Gnaden«, und hastete aus der Folterkammer.
Maria atmete auf. Der Richter beugte sich über sie. »Nun hast du es überstanden, das verspreche ich dir. Du wirst die Freiheit wiedergewinnen.« Dann ließ er sie zurück in das Verlies bringen.
Auf dem Weg dorthin hielten sich Marias Hoffnung auf eine Freilassung und ihre Scham darüber, dass sie aus Furcht und Feigheit einen armen Menschen verraten hatte, die Waage.
29. Kapitel
Der Priester kehrte nicht in die Zelle zurück. Vom Wächter erfuhr Martin, dass er auf der Folter seine Seele ausgehaucht habe. Nun wurde das Verlies für den jungen Mönch unerträglich groß, gab ihm keinen Halt mehr, obwohl doch die Wände so nahe beieinanderstanden. Er hatte verloren, was er im Leben besessen hatte: Glauben, Sicherheit, Zufriedenheit, ja sogar den zarten Sprössling der Liebe. Nur eines schien ihm zu bleiben: der Tod.
Dennoch hoffte er. Er konnte einfach nicht glauben, dass Pater Hilarius ihm wirklich etwas Böses wollte. Martin war froh, dass der Pater noch lebte. Wo mochte Federlin sein? Und wo der Graf? Sollte hier, in dieser Stadt, alles sein Ende nehmen? Alles?
Warum war Hilarius so grob zu ihm gewesen? Martin lief wie ein gefangenes Tier in der Zelle herum. Das Stück Himmel, das er durch das kleine, hochgelegene Fenster sah, war heute bleigrau. Er sprang hoch, aber nicht hoch genug, um einen Blick nach draußen werfen zu können. Und wieder nahm er seine verzweifelten Runden auf.
Natürlich! Hilarius war ja nicht allein gewesen! Er hatte Theater spielen müssen, damit nicht auffiel, dass sie gemeinsame Sache miteinander machten! Das musste es sein! Das erklärte das seltsame Verhalten des Paters. Martin blieb stehen und spürte, wie Kraft und Zuversicht in ihn zurückströmten. Hilarius würde ihn schon hier herausholen.
Doch dann erinnerte er sich an den zweiten Kopf des Paters und daran, dass bei Hilarius nichts mehr vorhersehbar war.
Martin stand vor dem Richtertisch. In der Mitte saß der karpfengesichtige Richter, links von ihm der vertrocknete Notar und rechts von ihm Pater Hilarius. Martin versuchte, Blickkontakt mit ihm herzustellen, doch der Pater weigerte sich, ihn anzusehen.
»Ich freue mich, einen so weitberühmten Hexenschnüffler hier willkommen heißen zu dürfen«, sagte der Richter geschwollen und neigte sich leicht zu Hilarius herüber. Dieser starrte unbewegt auf einen Punkt weit hinter und neben Martin. »Es ist eine Ehre und Freude für mich, Euch bei der Prozessführung zuzusehen. Ich
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