Der schwarze Atem Gottes
nicht, sich zu rühren, doch sie spürte, dass sie nicht mehr gefesselt war. Offenbar war das Seil gerissen.
Georg hob sie von der Streckbank, wobei er es nicht versäumte, sie zu begrapschen, bis er von dem Richter zur Mäßigung aufgerufen wurde. Maria wurde auf einen Stuhl gesetzt, und der Scharfrichter brachte die schrecklichen Spanischen Stiefel heran, die ihr die Beine zerquetschen sollten. Doch schon beim ersten Schlag auf den Keil zerbarsten sie und flogen auseinander – beide. Georg sank auf die Knie. Zuerst glaubte Maria, er sei von den umherfliegenden Teilen getroffen worden, doch er fiel nicht zu Boden, sondern hob die Hände wie im Gebet. Dann hörte sie, wie er brüllte: »Herr und Gott, errette uns vor dieser Hexe!« Der Scharfrichter gab ihm eine Ohrfeige und brüllte ihn an, er solle die Mundbirne holen. Georg erhob sich widerwillig; schließlich gehorchte er.
Maria sah, dass der Notar hinter der unbrauchbar gewordenen Streckbank Schutz gesucht hatte. Der Richter stand unschlüssig da. Georg rammte ihr die Birne brutal in den Mund und begann sofort, an ihrem Gewinde zu drehen, damit sie sich öffnete und Marias Kiefer sprengte. Sie würgte und gab erstickte Laute von sich. Verzweifelt versuchte sie, das dämonische Ding auszuspucken. Sie spürte, wie sich in ihrer Mundhöhle ein Druck aufbaute, der immer stärker wurde. Sie blies die Backen auf.
Etwas knirschte. Georgs Finger rutschten von dem Gewinde ab. Erstaunt sah er in Marias Augen.
Dann schoss die Birne mit erstaunlicher Kraft aus ihrem Mund hervor. Sie traf Georg an der Schläfe. Der Folterknecht fiel schwer zu Boden und schlug mit dem Kopf hart auf den Steinplatten auf. Es gab ein Geräusch wie das Platzen einer Eierschale. Er rührte sich nicht mehr. Der Scharfrichter sprang zu ihm und warf entsetzte Blicke zunächst auf den leblosen Körper, dann auf Maria. »Er ist tot!«, fiepte er. »Diese Hexe hat ihn umgebracht!«
Der Notar kauerte noch immer hinter der Streckbank. Der Richter rief hektisch nach einer Wache, die sich jedoch nicht zeigte. Er wurde immer nervöser und starrte Maria an. Er zischte etwas, das sie nicht verstehen konnte. Dann schrie er wieder: »Wache!« Endlich kam ein Büttel herein. »Ergreif diese da und bringe sie in die Einzelkammer.«
Der Büttel warf Maria das Gewand zu, das sie rasch überstreifte. Dann packte er sie und schleifte sie in ein Gemach, das so klein war, dass sie sich nicht einmal ausgestreckt hinlegen konnte. Sie lehnte sich an die Wand und zitterte wie im Fieber. Was war geschehen? Hatte sie wirklich der Teufel von der Folter befreit? Oder hatte Gott ein Einsehen mit ihr gehabt? Oder war das alles nur Zufall gewesen? Ein Seil war gerissen, der Folterknecht hatte in seiner Wut zu heftig auf die Spanischen Stiefel eingeschlagen, und es war ihr gelungen, die Mundbirne auszuspucken. Nichts daran war rätselhaft – nichts bis auf die Häufung dieser Umstände … Aber eines wusste sie genau: Jetzt war sie verloren.
Am Abend wurde sie erneut vor den Richter geführt – und zwar rückwärts, sodass sie ihn nicht ansehen konnte.
»Damit dein Blick mich nicht behext!«, sagte er mit einer Stimme, die sie vorher nie bei ihm gehört hatte. Und während sie mit dem Rücken zu ihm dastand und von einer Wache festgehalten wurde, verlas der Richter das Urteil.
Es überraschte Maria nicht.
Es lautete auf Tod durch Verbrennen bei lebendigem Leibe.
31. Kapitel
Sie standen einander in der dunklen Zelle gegenüber wie zwei Streithähne. Das schwindende Licht des Tages machte aus dem kleinen Fenstergeviert ein graues Quadrat. Auch das spitze, asketische Gesicht des Paters war grau.
»Nun sage mir endlich den Namen dieses Kabbalisten! Du weißt genau, wie viel auf dem Spiel steht!«
Martin stemmte die Arme in die Hüften und hielt dem lodernden Blick des Paters stand. »Zuerst müsst Ihr mich hier herausholen.«
»Das ist nicht so leicht! Du bist der Hexerei überführt, Martin, und dich erwartet eine gerechte Strafe! Wie sehr hast du mich enttäuscht!«
»Ich war weder auf dem Sabbat noch bei dem Succubus aus freien Stücken. Das alles habe ich diesem abscheulichen Grafen zu verdanken! Warum habt Ihr ihn gedeckt, als ich seinen Namen erwähnt habe? Er ist doch der Schuldigste von uns allen!«
»Das verstehst du nicht, Martin. Seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, ist viel passiert. Ich bin ebenfalls der
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