Der schwarze Atem Gottes
Meinung, dass der Graf mit den höllischen Mächten im Bunde ist, aber zum einen ist er sehr mächtig, und zum anderen könnte er uns noch nützlich werden. Wenn du mir den Namen des Kabbalisten nicht verrätst, wird er ihn herausfinden. Das hoffe ich zumindest.«
»Ihr wollt gemeinsame Sache mit dieser Bestie machen?« Martin konnte das nicht glauben.
»Manchmal bringt auch das Böse Gutes hervor. Aber es wäre mir unendlich lieber, wenn du mir sagst, was du weißt – falls du überhaupt etwas weißt.«
»Ich weiß zum Beispiel, was Ihr da auf dem Bauch unter Eurer Kutte mit Euch herumschleppt. Glaubt Ihr nicht, dass ein Hinweis an das erzbischöfliche Gericht genügen würde, um eine kleine Untersuchung einzuleiten? Und glaubt Ihr nicht, dass man diesen zweiten Kopf als Ausgeburt der Hölle ansehen wird?«
»Das würdest du niemals wagen!«, zischte Hilarius und strich sich mit der Hand sanft über seine Ausbuchtung.
»Was macht Euch da so sicher? Ich habe doch nichts mehr zu verlieren. Wenn ich schon als Hexenmeister brennen muss, dann will ich an Eurer Seite brennen!« Martin sah den alten Pater herausfordernd an. Er erkannte Angst im Blick des anderen.
Und noch mehr. Qualen. Pein. Schmerz.
»Martin, du weißt nicht, was du sagst. Dieser Kopf ist wirklich eine Ausgeburt der Hölle, vollgesogen mit der Seele eines Zauberers, und er lässt mich diese Hölle andauernd sehen und spüren.« Der Pater kniff die Augen zusammen. »Und ich werde dich an meiner Hölle teilhaben lassen. Denk daran!«
»Sollten wir nicht aufhören, uns zu drohen?«, seufzte Martin. »Was ist denn aus uns geworden? Ich habe Euch beinahe angebetet, Meister, und nun versuche ich Euch in die Enge zu treiben. Und Ihr habt mir vertraut und wart wie ein Vater zu mir, und nun wollt Ihr mich brennen sehen. Hat uns das Böse wirklich schon so fest in der Hand?«
»Es hat sich so weit ausgebreitet, dass man niemandem mehr trauen kann«, gab der Pater zu.
»Das ist richtig. Und aus diesem Grund werde ich Euch den Namen erst dann preisgeben, wenn ich in Sicherheit bin. Das ist mein letztes Wort.«
Hilarius fuhr sich mit der Hand ans Kinn, massierte es nachdenklich und verzerrte das Gesicht. Martin glaubte zu sehen, wie der Kopf unter der Kutte zuckte. Schließlich keuchte der Pater: »Ich werde sehen, was ich tun kann. Warte ab.« Er schien große Schmerzen zu leiden. Dann rief er nach der Wache und verließ Martins Zelle. Der junge Mönch schaute ihm nach, und plötzlich empfand er großes Mitleid für diesen heiligmäßigen Mann, der sich völlig hilflos in den Klauen des Teufels zu befinden schien. Aus dem harten Kämpfer für das Gute war ein Werkzeug des Bösen geworden.
Martin wickelte sich in die stinkenden Decken ein und versuchte zu schlafen. Lange lag er wach; seine Gedanken ließen ihn nicht in Ruhe. Stöhnend wälzte er sich auf seinem harten Lager hin und her. Wie mochte es Maria ergangen sein? Ob sie einer Verurteilung entgangen war? Wenn er in Freiheit war, würde er sich um sie kümmern; das war er ihr schuldig. Die Gedanken an sie erfüllten ihn mit einer gewissen Ruhe. Er sah sie vor sich, sah ihre braunen Locken, ihre blitzenden Augen, ihren frischen Körper, sah sie nackt, in der Umarmung der Dämonin, und die Ruhe war wieder dahin.
Wie still es doch hier nachts war. Alle Geräusche waren verstummt; es war, als seien sie aus der Welt herausgetropft und hätten eine vollkommene Leere zurückgelassen. Der Kabbalist, die Pforte, die Sefiroth, die Apokalypse, eine brennende Welt, der Antichrist … Bilder verschmolzen mit anderen Bildern und tanzten einen Höllenreigen. Schweigend. Wirbelnd. Schwindel. Er fiel. Fiel in seinen Traum und wusste es. Wusste, dass er in einem Traum steckte. Aber wann hatte dieser Traum begonnen, und was alles gehörte zu diesem Traum? Sein ganzes Leben? Wenn das Leben ein Traum war, was – und wo – war dann die Wirklichkeit? Hilarius trat vor ihn, inmitten eines Birkenwäldchens, dessen Blätter bereits herbstlich verfärbt waren, gelb und braun, und sagte noch einmal: »Es hat sich so weit ausgebreitet, dass man niemandem mehr trauen kann.« Und Martin nickte verständnisvoll.
Irgendwo in einer der Birkenkronen saß eine Amsel und sang ihr Abendlied. Und zugleich krächzte hoch droben ein Rabe. Martin roch den Herbst. Er roch die Kartoffelfeuer, die schwere, feuchte Erde, in die bereits die erste Kälte geglitten war, er roch das Laub
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