Der schwarze Atem Gottes
ihren vier spitzen Eckhauben, die eher an ein Schloss als an eine Kirche erinnerten. Maria hatte gehört, dass auf dem Platz vor dieser Kirche, nicht weit von der Moldau entfernt, die Hinrichtung stattfinden sollte. Die Asche der Hexen würde nach der Exekution in den Fluss gekippt werden.
Die Gasse weitete sich, und noch bevor Maria den Platz sehen konnte, hörte sie das Gerausche unzähliger Stimmen.
Man wartete ungeduldig.
Als die beiden Wagen jedoch auf den Platz vor der Kirche einbogen, verebbte das Rauschen schlagartig. Eine gespannte Stille setzte ein. Tausende und Abertausende Menschen hatten sich um die bereits angelegten Scheiterhaufen versammelt; ja sogar in allen Fenstern der den Platz umstehenden Häuser hockten Trauben von Menschen und bemühten sich, den besten Ausblick auf das kommende Schauspiel zu haben.
Es wäre ein schöner Tag zum Herumlungern gewesen. Wie gern hätte sie sich diese Stadt angesehen und sich unter die Bürger gemischt. Vor der Teynkirche hätte es sicherlich einige lockere Geldkatzen gegeben, und bestimmt hätte sie dem einen oder anderen Bauern ein paar Eier stibitzen können. Es hätte zu einem tagelangen unbeschwerten Leben gereicht. Nun aber reichte es gerade einmal zum Sterben.
Die Wagen kamen zu einem ruckhaften Halt; die Hexen taumelten gegeneinander. Maria sah sich den Ort ihrer letzten Atemzüge genau an. Die Scheiterhaufen waren in einem großen Halbkreis errichtet: jeweils ein senkrechter Pfahl und darunter ein Reisighaufen. An der offenen Seite des Halbreises stand ein langer Richtertisch wie eine Bühne vor dem Zuschauersaal in einem Theater. Maria erkannte den Richter, rechts neben ihm den stets staubigen Notar, der noch immer verschüchtert wirkte, und links neben ihm in einem schwarzen Festgewand den Nachrichter mit der schrillen, hohen Stimme. Neben dem Nachrichter stand ein großes Schwert aufrecht in einem Gestell und daneben ein Holzklotz. Die Bühne war bereitet; das Stück konnte beginnen.
Die erste Hexe wurde von dem ersten Karren gehoben und vor den Richtertisch geführt. Sie musste sich vor den Richter stellen und den Blick auf den Boden richten. Dann nahm der Richter mit einem gütigen Lächeln das erste Blatt Pergament von einem dicken Stoß, der vor ihm auf dem Tisch lag, und verlas die Personalien der Hexe und ihr Urteil. Sie war angeklagt worden, Menschen und Vieh verhext zu haben, hatte gestanden – angeblich freiwillig; hierauf verzog der Scharfrichter genießerisch die Lippen – und wurde, da ihre Hexereien den Tod mehrerer Menschen zur Folge gehabt hatten, zum Tode durch Verbrennen bei lebendigem Leibe verurteilt. Sie wurde von einem Büttel abgeführt und an den ersten Pfahl links vom Richtertisch gebunden. Ihr blieb noch eine Vollstreckungsfrist, bis auch das Urteil der letzten Hexe verlesen war. Gemeinsames Brennen ergab einfach ein netteres Bild, hatte man Maria im Kerker erklärt.
Maria schaute von ihrem hohen Karren herunter auf die Menge, die die Hexen angaffte. Einige Eltern hielten ihre Kinder hoch, damit diese besser sehen konnten. Niemand sprach mehr als unbedingt nötig; eine atemlose Stille beherrschte den Platz, die nur ab und an von spielenden Kindern kurz unterbrochen wurde. Befand sich irgendwo in dieser Menge der junge Mönch? Maria ließ ihre Blicke schweifen und hörte kaum mehr auf die weiteren Urteile, die der Richter mit immer gleicher Stimme aussprach. Als sie wieder einmal auf die Richtstätte sah, waren dort bereits fünf Hexen angebunden; die sechste stand gerade vor dem breiten Tisch. Doch ihr Urteil lautete anders.
»Meine Tochter, du hast aus freiem Herzen deine Schandtaten bekannt und dich reumütig gezeigt. Daher soll dir Gnade widerfahren.« Der Richter machte eine bedeutungsschwere Pause. Maria sah, wie sich die Augen der Hexe ungläubig weiteten. Sichtbare Freude wallte in ihr auf. Meinte er es ernst?, stand in ihrem Gesicht geschrieben.
Der Richter redete weiter. »Du bist gestrauchelt auf deinem Weg und ein einziges Mal schwach geworden. Das ist kein Grund, um am Pfahl zu brennen.« Er sah von seinem Urteilsblatt auf und zwinkerte der Hexe vergnügt zu. »Damit du siehst, dass das Gericht viel lieber Gnade vor Recht ergehen lässt, bestimme ich hiermit das folgende Urteil.« Es folgte eine weitere Pause. Murren machte sich unter denjenigen Schaulustigen breit, die nahe genug hinter dem Richtertisch standen, um mithören zu können. Der Richter räusperte sich und
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