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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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dem bereits zwei Ochsenkarren warteten. Die Hexen wurden nacheinander auf diese Karren getrieben. Eine versuchte tatsächlich, auszubrechen, doch einige harte Schläge mit einem dornenbesetzten Knüppel bereiteten ihrer Flucht ein jähes Ende. Sie heulte vor Schmerzen laut auf; dann wurde sie von zwei Bütteln wie ein Stück Vieh auf den Wagen geworfen.
     
    Als Maria hinaus in den frischen Frühlingsmorgen trat, packte es sie mit unwiderstehlicher Macht. Lebenshunger. Lebensfreude. Vögel sangen in der blauen, klaren Luft: Stare, Amseln, Finken und Meisen konnte sie heraushören. Sie atmete tief durch. Während sie zu einem der Wagen ging, dachte sie:
An einem solchen Tag zu sterben! Welche Ungerechtigkeit!
Sie sah sich um. Niemand befand sich auf dem kleinen Hinterhof, in dem sie verladen wurden – niemand außer jenen, die unbedingt hier sein mussten. Maria hatte gehört, dass der heutige Tag der Hinrichtung in der ganzen Stadt bekannt gemacht worden war, und wusste, dass viel Volk zusammenströmen würde. Sie hatte selbst vor einigen Jahren einmal in Bamberg einer Verbrennung zugesehen, weil sie neugierig gewesen war, doch nie wieder hatte sie danach die Lust verspürt, einem solchen Schauspiel beizuwohnen. Am schrecklichsten waren ihr die Gaffer vorgekommen. Sie hatten sich am Tod der Hexe berauscht, und sie hatte sogar bemerkt, wie ein etwas abseits stehendes Pärchen schamlos der Lust gefrönt hatte, während sie den Blick starr auf die erbarmungswürdige Brennende gerichtet hielten, die die unmenschlichsten Schreie ausstieß. Damals hatte Maria es sich nicht vorstellen können, dass sie selbst einmal brennen würde.
     
    Die Karren setzten sich rumpelnd in Bewegung. Maria fiel gegen eine Leidensgenossin, die sie angiftete: »Pass doch auf, wo du hinfällst! Du hast mir wehgetan!«
     
    Als sich das Tor des Hinterhofes kurz vor den Karren auftat und diese hinaus in die Stadt rollten, war es Maria, als fahre sie in eine andere Welt. Die Straße war von Schaulustigen gesäumt, die sich so nahe wie möglich an die Karren herandrängten und zum Teil ein Stück neben ihnen herliefen. Die Hexen wurden vom Volk bespuckt und mit langen Ruten geschlagen. Die Wachen, die die Wagen zu Fuß begleiteten, schritten nicht ein, sondern versuchten lediglich, sich selbst vor dem Zorn der Menge in Sicherheit zu bringen und dabei den Abstand zu den Wagen nicht allzu groß werden zu lassen.
     
    Auch Maria wurde mehrfach getroffen. Sie spürte, wie ihre Wange sich vom Blut nässte. Die körperlichen Schmerzen waren indes nicht so stark wie die seelischen. Diese Misshandlungen waren beinahe schlimmer als alles, was sie im Kerker und im Folterkeller hatte erdulden müssen. Woher kam der Hass dieser Menschen?
     
    Einmal sah sie, wie eine fette, alte Hexe, die nicht weit von ihr entfernt stand und gerade wieder einmal zum Opfer eines schlimmen Rutenstreichs geworden war, die Augen auf ihre Peinigerin richtete – die meisten der Schaulustigen waren Frauen – und laut eine Beschwörung schrie. Die Peinigerin zuckte zusammen, als habe nun sie einen Schlag erhalten. Sie ließ ihre Rute fallen und kreischte auf. Dann schlug sie die Hände vors Gesicht und sackte auf die Knie. Niemand kümmerte sich um sie, aber für eine kurze Weile ließen die Angriffe nach.
     
    Als die Wagen unter einem besonders hohen Giebelhaus herfuhren, sah Maria, wie sich ganz oben ein Fenster nach außen öffnete und etwas hinausgeschleudert wurde. Sie duckte sich und hatte Glück. Das Geschoss schlug im vorderen Teil des Wagens ein. Eine der Frauen schrie auf und stürzte getroffen auf die Planken des Karrens. Sofort verbreitete sich ein entsetzlicher Gestank. Es war ein Nachttopf gewesen, dessen Inhalt sich auch über einige andere Frauen ergossen hatte. Sie fluchten und schimpften und reckten die Fäuste in den Himmel. Maria sah zurück auf das hochgelegene Fenster, das sich soeben wieder schloss.
     
    Einige der Frauen kümmerten sich um die Gestürzte und halfen ihr wieder auf die Beine. Die feige Tat hatte die Schaulustigen ermutigt, und die Angriffe setzten erneut ein. Nun aber schritten die Wachen ein. Vermutlich befürchteten sie, dass eine der Hexen bereits vor der Hinrichtung sterben könnte, was für die Wachen sicherlich sehr unangenehme Auswirkungen hätte, eine Degradierung oder Schlimmeres. Den Rest des Weges legten die Karren deshalb in relativer Ruhe zurück.
     
    Nun erhoben sich über das Dächergewimmel die beiden Türme der Teynkirche mit

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