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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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du mich verstanden?«
     
    Barbara versuchte zu nicken, was ihr in diesem Würgegriff kaum gelang. Maria ließ sie los. Barbara schlug mit dem Kopf schwer auf den Steinplatten auf und blieb keuchend liegen. Ein Teil der Gafferinnen pfiff und jubilierte, ein anderer Teil brummte und murrte. Dann öffnete sich die Tür zur Freiheit, und Wasser und Brot wurde den Gefangenen vorgeworfen. Mit Gebrüll stürzten sie sich darauf.
     
    Maria wusste, dass für sie nur wieder die Endstücke übrig bleiben würden. Es war ihr egal. Ihr war alles egal. Morgen früh würde sie brennen, würde sie als Asche diese Welt der Tränen verlassen. Seltsam: Sie empfand diesen Gedanken nun als beruhigend. Viele ihrer Mitgefangenen würden sie auf dieser letzten Reise begleiten; man munkelte von einer Massenverbrennung von fünfundzwanzig Hexen. Maria beugte sich über die am Boden liegende Barbara und reichte ihr die Hand.
     
    Tatsächlich ergriff Barbara die ihr dargebotene Rechte. Maria zog das Mädchen hoch und sagte: »Es ist doch verrückt, dass wir uns bekämpfen. Wir haben beide nichts mehr vom Leben zu erwarten; wir sind Gefährtinnen.«
     
    »Ich habe nur deshalb nichts mehr vom Leben zu erwarten, weil du es zerstört hast«, giftete Barbara und riss sich aus Marias Griff los. Trotzig verschränkte sie die Arme über der Brust.
     
    »Hast du auf der Folter etwa niemanden besagt?«, wollte Maria wissen.
     
    Barbara gab zunächst keine Antwort, sondern blinzelte Maria nur böse an. Maria fragte sich, was dieses blasse und unscheinbare Mädchen dazu getrieben hatte, sich dem Teufel zu verschreiben: Vielleicht gerade der Umstand, dass sie blass und unscheinbar war? Dass sie aus ihrer Rolle ausbrechen wollte?
     
    »Du kannst mir nicht weismachen, dass du ein Engel bist«, sagte Maria und spuckte vor Barbara aus. »Keiner weiß besser als ich, dass du schuldig bist.«
     
    »Genau wie du!«
     
    »Wie so viele von uns«, sagte die spitznasige Bohnenstange, während sie an einer Brotrinde kaute. »Ihr beide seid morgen dran? Ich habe es noch vor mir. Mein Prozess ist noch nicht zu Ende. Der Richter hat etwas von einer Aktenversendung an die Universität gefaselt; er scheint sich in meinem Fall nicht ganz sicher zu sein. Was für ein Narr!« Sie kicherte. »Nun, ich werde auf alle Fälle für euch beiden Hübschen beten – zu unserem wahren Herrn!«
     
      
    Der Priester war eine Maus. Sein großer, kugelrunder Kopf war kahl; seine braunen Augen standen eng beieinander; aus der Nase wuchsen ihm einige spitze Haare, die wie der Schnurrbart einer Maus aussahen, und seine kleinen Hände glichen putzigen Pfoten. Er war bereits früh am Morgen in das Verlies gekommen und sollte den fünfundzwanzig Hexen, die heute verbrannt wurden, die Beichte abnehmen. Er nahm sich nicht viel Zeit, und so war bald Maria an der Reihe. In leisem, fast geflüstertem Ton fragte er sie, ob sie die Beichte ablegen wolle, aber Maria wollte nicht. Mit seinen großen, braunen Knopfaugen sah er sie verwundert an.
     
    »Dann wird auch deine Seele sterben, mein Kind.«
     
    »Seid Ihr Euch so sicher, dass ich eine Seele habe?«
     
    »Jeder Mensch hat eine Seele, mein Kind.«
     
    »Ach ja? Sogar Ihr?«
     
    Seine Augen wurden noch größer. »Hexe!«, zischte er. »Auf dass du ewig brennen mögest!« Und er ging zur nächsten Verurteilten, die allem Anschein nach fügsamer war; sie heulte sich die Seele aus dem Leib.
     
    Wenn er die Welt Gottes vertrat, dann hatte sie mit dieser Welt abgeschlossen. Der Teufel, der angebliche Vater der Lüge, schien ihr ehrlicher zu sein.
     
      
    Es war wie ein Viehtrieb. Sie mussten sich in einer Zweierreihe innerhalb des stickigen Verlieses aufstellen. Dann wurden ihnen die Hände mit kräftigen, tief in das Fleisch schneidenden Riemen auf dem Rücken zusammengebunden.
     
    »Ja, schafft sie weg, diese Hexen«, zischte die Bohnenstange einem der Büttel zu, der seine Arbeit augenscheinlich nur sehr ungern verrichtete; er schien große Angst vor diesen Buhlinnen des Teufels zu haben. »Jetzt wird es endlich leerer hier. Wie haben sie die Luft mit ihren dämonischen Ausdünstungen verpestet! Wir, die ehrbaren Frauen, waren in ständiger Angst vor ihnen. Brennen sollen sie!« Die anderen, deren Urteil ebenfalls noch nicht verkündet war, zollten ihr murmelnden Beifall.
     
    Maria war froh, als sie den Kerker hinter sich gelassen hatte. Man führte sie und die anderen über eine breite Wendeltreppe zu einem Hinterausgang, an

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