Der schwarze Atem Gottes
wirklich inzwischen, wo Auerbach ist?«
»Ich habe gehört, dass er bei seinem Bruder Benjamin gesehen wurde«, sagte der Rabbi. »Aber ob das stimmt, weiß ich natürlich nicht.« Er zuckte die Achseln.
»Wo wohnt sein Bruder?«, fragte Federlin.
»In der Breiten Gasse, im Haus zum Löwen.«
»Dann sollten wir jetzt gehen«, sagte der Gaukler. Rabbi Lurja stand auf und erhielt von Federlin den Bruderkuss. Erstaunt sah er den drahtigen, buntscheckigen Mann an. Auch Martin stand auf und schüttelte dem Juden dankbar die Hand. Er konnte ihm nicht in die Augen sehen, denn er hatte ein zu schlechtes Gewissen.
Vorsichtig traten sie hinaus auf den Zigeunerplatz. Rabbi Lurja schloss sofort die Tür hinter ihnen.
»Wohin müssen wir?«, fragte der Graf.
»Nach Westen, zuerst durch die Stockhausgasse, dann durch die Schwarze Gasse. Deren Verlängerung ist die Breite Gasse.«
Sie gingen los. Die Stockhausgasse war so schmal, dass man beinahe die Häuser zu beiden Seiten berühren konnte, wenn man in der Mitte der Gasse stand und die Hände ausbreitete. Vielfältige Gerüche quollen durch die enge Straße: Düfte von frischem Brot, von gebratenem Geflügel, von Kalbsbraten, doch über allem lag der Gestank von Blut, Urin und Exkrementen. Viele Haustüren waren eingetreten, viele Fensterscheiben zerschlagen, und auf der Gasse lagen zerbrochene Möbel, die man offenbar durch die Fenster hinausgeworfen hatte. In einem der weit offen stehenden Fenster sah Martin den Körper einer Frau; sie hing halb aus dem Rahmen heraus; ihre Augen waren glasig und tot. Und an eine Eingangstür war ein hagerer junger Mann genagelt worden; man hatte ihm das Herz aus der Brust gerissen; es lag als kleiner, roter Klumpen neben seinen Füßen. Ein Hund kam quer über die Gasse heran und schnüffelte an dem Herz. Martin verscheuchte ihn mit einem Fußtritt.
Weiter vorn tobte noch der Lärm der Verfolgung, doch hier war alles vollkommen still. Hier gab es niemanden mehr, der Lärm hätte machen können. Maria drängte sich an seine Seite. Hilarius sah auf die Leichen, als wären sie nicht Wirklichkeit, sondern Bestandteile seines Höllentraumes. Federlin machte ein angeekeltes Gesicht. Der Graf und seine Begleiterin schienen ungerührt.
Und dann, am Ende der Stockhausgasse, schlug das Chaos über ihnen zusammen. Eine lärmende Menge brandete durch eine Quergasse, ergoss sich in die Schwarze Gasse und drang in beinahe alle Häuser ein. Die Rasenden zerrten die Bewohner auf die Straße, manche warfen sie aus dem Fenster, und dann ging das Gemetzel los. Martin blieb wie erstarrt stehen, doch Federlin zupfte ihm am Ärmel und flüsterte: »Weiter! Sie werden uns nichts tun, wenn wir ganz dicht zusammenbleiben!«
»Wieso nicht?«, fragte Martin leise.
»Sie werden uns nicht bemerken. Vertrau mir!«
Was für ein Gaukelkunstwerk war das? Die Gruppe bemühte sich, den Plündernden und Mordenden aus dem Weg zu gehen, und tatsächlich hielt niemand sie auf, ja niemand schien sie wahrzunehmen. Dafür aber nahm Martin mehr von seiner Umgebung wahr, als ihm lieb war.
Zwei Männer mit Schwertern in der Hand prügelten eine schöne, hochschwangere Jüdin durch die Haustür. Der eine hielt sie von hinten fest, der andere schlitzte ihr mit seinem Schwert den Bauch auf, griff in die rote, triefende Höhlung und zerrte das Ungeborene hervor. Er riss die Nabelschnur ab und schlug die sterbende Mutter mit ihrem eigenen Kind. Martin lief weiter. Das Gelächter der Männer und die Schreie der Mutter gellten in seinen Ohren.
Einem Mann wurde ebenfalls der Leib aufgeschnitten; dann steckte einer der Verfolger ihm eine schwarze Katze in die Bauchhöhle, und ein andere nähte den Bauch mit einigen geschickten Stichen wieder zu. »Jetzt ist er schwanger, der Jud!«, grölten sie zur Melodie eines Gassenhauers. Schließlich hieben sie dem Erbarmungswürdigen beide Arme ab, damit er sich nicht selbst die tobende Katze aus seinem Innern herausreißen konnte.
Am Übergang zur Breiten Gasse hatten einige Männer mitten auf der Straße ein Feuer entfacht. Sie grölten wie Betrunkene oder Besessene. Was brieten sie da? Martin konnte es nicht genau erkennen, aber es mussten recht große Tiere sein. Als er an ihnen vorbeihastete, während sie ihn und seine Gruppe zum Glück nicht beachteten, erkannte er, dass sie etwas davon einigen gefesselten Frauen anboten, die wie der Teufel aufkreischten, doch sie
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