Der schwarze Atem Gottes
wurden gezwungen, zu essen. Als Martin sie bereits passiert hatte, hörte er, wie einer der Männer schrie:
»Verfluchte Jüdin! Du frisst es wohl nicht, weil es kein Wiederkäuer, sondern nur dein Sohn ist!«
Martin würgte. Er lief wie durch Watte, wie durch einen Albtraum. Nichts begriff er mehr. Er hatte auch in der Abgeschiedenheit seines Klosters von Pogromen und Verfolgungen gehört, aber es waren nur leere Begriffe für ihn gewesen. Ja, er hatte diese Verfolgungen sogar gutgeheißen, da sie gegen Ungläubige geführt wurden und somit unter dem Schutz Gottes standen. Er hatte sich nicht einmal im Traum vorstellen können, dass sich unter diesem harmlos klingenden Begriff eine solch bestialische Abscheulichkeit verbarg, die jeglichem Menschsein Hohn sprach.
Endlich hatten sie das Haus zum Löwen gefunden. Es war ein stolzes Giebelhaus mit zwei Stockwerken und Backsteinornamenten an der Fassade. Bis hierher hatten sich die Häscher noch nicht vorgemordet. Die Zeit drängte.
Federlin klopfte heftig an der Haustür. »Benjamin Auerbach, mach auf!«, rief er. »Wir sind keine Feinde. Wir werden dir helfen, wenn du uns hilfst!«
Martin sah hinter sich. Die Breite Gasse lag verhältnismäßig ruhig da; es war, als würde die Welle der Gewalt nur bis zu ihrem Anfang schwappen und dann aus unerklärlichen Gründen auslaufen. Er strich Maria über den kahlen, geschundenen Kopf. Sie zitterte. Sie hatte genauso viel Angst wie er.
Nun donnerte der Graf gegen die Tür. »Mach endlich auf!«, schrie er. Seine Begleiterin stand hinter ihm. Sie machte den Eindruck, als lebte sie nicht mehr; sie bewegte keinen Muskel, stand da wie ein Golem, dem der lebensspendende Zettel entzogen worden war.
Und Hilarius? Wo war Hilarius? Erschrocken sah Martin sich um. Da sah er den alten Pater. Er hatte sich auf die gegenüberliegende Seite der Gasse zurückgezogen und starrte abwechselnd auf den Giebel des Hauses und auf den Himmel, der noch immer schwarz wie beim schlimmsten Gewitter war. Er bewegte den Mund, aber Martin konnte nicht hören, was er sagte. Dann zeigte er mit einer Hand auf das oberste Fenster des Hauses. Martin ließ Maria los, trat einige Schritte von dem Haus zurück und schaute ebenfalls nach oben. Es war, als würde sich dort eine dünne, schwarze Rauchwolke hoch in den schwarzen Himmel ergießen – durch das geschlossene Fenster. Ihn schauderte. Was mochte hinter diesem Fenster liegen? Hatten sie ihr Ziel erreicht?
Da wurde die Tür geöffnet – nur einen winzigen Spaltbreit. Er hörte, wie Federlin rief: »Wir suchen Benjamin Auerbach – und seinen Bruder. Bitte lasst uns herein.«
Die Tür öffnete sich weiter, und ein Frauenkopf lugte durch den Spalt. »Wer seid ihr?«, fragte die Frau mit tränenerstickter Stimme.
»Freunde«, antwortete der Graf kalt. »Wo ist Wolf Auerbach?« Es sah so aus, als wolle er die Tür mit Gewalt nach innen drücken. Federlin hielt ihn zurück.
»Wer seid Ihr?«, fragte er.
»Benjamins Frau«, schluchzte die Stimme.
»Vielleicht kann Euer Mann uns weiterhelfen«, bettelte Federlin. Und tatsächlich zog die Frau die Tür nun ganz auf.
»Seht selbst nach ihm. Er ist ganz oben, unter dem Dach. Am Ende der Treppe. So ist es, seit ich nach Hause gekommen bin. Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich will es nicht wissen.«
Federlin und der Graf liefen in das Haus hinein. Martin stand eine Weile unschlüssig da, dann gab er Maria einen flüchtigen Kuss auf die Wange und hastete hinter den beiden her. Hilarius und der Succubus blieben draußen.
Benjamin Auerbachs Frau begleitete sie nicht nach oben; sie blieb bei der Tür stehen. Federlin und der Graf stolperten in wilder Hast die steile Stiege hoch; Martin gelang es kaum, mit ihnen mitzuhalten. Schließlich hatten sie die Dachkammer erreicht.
Das kleine Fenster ließ nur wenig Licht herein. Der spitze, tiefe Raum war vollkommen leer, wenn man von einigen Spinnweben absah. Doch in der Mitte lag jemand mit dem Gesicht nach unten auf den blanken Fußbohlen. Martin schien es, als ströme von ihm jener schwarze Dunst aus, den er bereits von draußen zu sehen geglaubt hatte.
Der Graf drehte den Körper auf den Rücken. Er schreckte zurück.
Auch Federlin zuckte zusammen.
Zuerst konnte Martin es in dem Zwielicht nicht genau erkennen. Doch dann schlich er näher an den Körper heran. Die Augen des Mannes waren schwarz. Es war, als sei das Weiße in
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