Der schwarze Atem Gottes
hinaus.
Sofort zog er den Kopf wieder ein – wie eine Schildkröte, die Gefahr wittert. Er zog den Fensterflügel so heftig zu, dass das Glas darin klirrte, und drehte sich zu seinen ungeladenen Gästen um. Sein Gesicht war kalkbleich.
»Schnell!«, sagte er außer Atem. »Wir müssen uns verstecken. Niemand darf uns hier finden, sonst sind wir alle verloren!«
Maria verstand ihn nicht. Was war geschehen? Nun hörte sie Schreie heraufdringen, wütende Schreie, die Befehle brüllten, Angstschreie, Todesschreie. Und das Trappeln von Pferdehufen auf dem Katzenkopfpflaster.
»Das, was da draußen vorgeht, deutet auf ein Pogrom hin!«, keuchte der Rabbi. »Ihr verdammten Christen wollt uns Juden wieder ans Leder! Warum auch immer, diesmal macht ihr ernst.« Tränen standen in seinen Augen. »Na los, beeilt euch doch! Wir verstecken uns in einem Verschlag im Keller!«
Sie hasteten die schmale, knarrende Treppe herunter, an der Eingangstür vorbei und durch eine kleine Pforte unter der Treppe, die in den Keller führte. Lurja hatte einen Kerzenleuchter und einige Schwefelhölzer ergriffen und warf die Tür hinter ihnen zu. Für einen Augenblick standen sie auf einer steilen Leiter in völliger Dunkelheit. Maria versuchte sich an den Sprossen über ihr festzuhalten, doch sie griff in Stoff. Sofort zog sie ihre Hand wieder weg. Wer mochte da über ihr stehen? Dann stahl sich das Licht einer einzelnen Kerze durch die Dunkelheit. Es war Lurjas Gewand, das sie berührt hatte. Der Rabbi legte den Finger auf die Lippen und bedeutete mit der freien Hand, dass sie alle weiter hinabsteigen sollten.
Unten übernahm er die Führung und geleitete sie durch niedrige, feuchte Kellergewölbe zu einem Raum, in dem allerlei Gerümpel lagerte. Maria sah, dass sich an einigen der Truhen, Stühle und Schränke bereits Schimmelüberwucherungen gebildet hatten, und schüttelte sich vor Ekel. Lurja rückte einen der Schränke von der Wand weg. Dahinter öffnete sich ein Gelass, das mindestens so groß wie die anderen Kellerräume war.
»Na los!«, zischte er. »Hinein!«
Er trat als Letzter ein und zog den Schrank an einem hölzernen, wohl ausschließlich zu diesem Zweck angebrachten Griff in der Rückseite wieder vor den Eingang der Geheimkammer. Als sich alle gesetzt hatten, löschte er die Kerze. »Es ist besser so; der Lichtschein könnte uns vielleicht verraten«, sagte er im Flüsterton.
Als die Kerze erlosch, hatte Maria noch einen kurzen Blick in die Runde geworfen. Sie saß zwischen Hilarius und Lurja, und auf der gegenüberliegenden Seite hockten Martin, der Graf und seine Begleiterin gegen die Wand gelehnt. Federlin indes saß abgesondert von den anderen an der Stirnwand der Kammer. Als endlich alle ganz still waren, hörte sie ein leises Stöhnen. Zuerst glaubte sie, es komme von weit her, vielleicht von draußen, doch dann begriff sie, dass der Pater neben ihr die Ursache für dieses unendlich jammervolle, klagende Geräusch war.
Über ihren Köpfen ertönte ein schreckliches Poltern und Rasseln. Es hörte sich an, als würden Möbelstücke zerhauen oder durch die Luft gewirbelt. Maria hielt den Atem am. Schließlich entfernte sich das Wüten, als sei nun der erste Stock sein Zentrum. Der Rabbi seufzte. »Ich verliere alles«, klagte er leise.
Nach einiger Zeit kam der Aufruhr näher. Maria hörte Stimmen. »Diese verfluchte Judensau!«, sagte eine dunkle, heisere Stimme. »Wenn ich sie finde, brate ich sie! Und dann fresse ich sie auf!«
»Da holst du dir nur Magenschmerzen«, gellte eine betrunken klingende, hohe Stimme. Andere Stimmen brüllten ein donnerndes Lachen heraus.
»Mir ist aber nach Judenfleisch!«, rief die dunkle Stimme. »Wer unsere Christen tötet, muss selbst dran glauben!«
»Na komm, knöpfen wir uns das nächste Haus vor«, meinte die hohe Stimme; die anderen brummten zustimmend. Den Tritten nach zu urteilen, mussten es mindestens vier sein. »Wir haben doch schon so viel schönes Silber.«
»Aber noch kein Blut!«
Maria hörte, wie in dem Kellerraum, hinter dem das Geheimzimmer lag, grob herumgewühlt wurde.
»Das ist ja ekelhaft hier!«, beschwerte sich die dunkle Stimme. »Überall dieser Schimmel!«
»Komm, lass uns abhauen; es reicht«, sagte eine andere Stimme, in der eine gehörige Angst lag. Einen Augenblick lang war alles ganz ruhig. Auf beiden Seiten schien man zu lauschen. Auch der Pater war verstummt. Maria
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