Der schwarze Atem Gottes
betete darum, dass ihr Herzschlag nicht zu laut war. Schließlich aber entfernten sich die Schritte, und bald lag das Haus in dichtem Schweigen.
Der Rabbi neben ihr stieß einen tiefen Seufzer aus. Er wartete noch einige Minuten, dann aber zündete er die Kerze wieder an. Maria warf einen raschen Blick auf den Pater zu ihrer Rechten, der noch immer leise jammerte. Er hielt sich den Bauch, und sein Blick war irr.
Sie versuchte, Martins Blicke auf sich zu lenken. Es gefiel ihr nicht, dass er zwischen diesen beiden Kreaturen saß. Die Frau hatte sich zu ihm herübergebeugt und streichelte seine Wange. »Weißt du noch?«, flüsterte sie im Ton kaum verhohlener Aufforderung. »Du warst wunderbar. Dein Samen wird etwas Großartiges hervorbringen.« Sie küsste ihn heiß und leidenschaftlich, und dabei tastete sie mit den Fingern seinen Körper unter der groben Büßerkutte ab. Der Graf schaute belustigt zu.
Pater Hilarius’ Stöhnen wurde lauter. Sie sah ihn erstaunt an. In seinem Blick lagen Entsetzen, Ekel und Verstehen. Er würgte. Maria konnte seine Gegenwart nicht mehr ertragen. Die wunderschöne Frau hatte nun ihre Finger in Martins Schoß vergraben. Der junge Mönch wehrte sich nicht. Er stöhnte leise. Er war verzaubert. Maria sprang auf, durchquerte den Raum mit wenigen Schritten und schlug der Frau mit der flachen Hand ins Gesicht. Einen Moment lang war sie über ihren eigenen Mut verwundert. Was würde die Frau jetzt mit ihr machen? Erstaunt bemerkte Maria, wie sie von Martin abrückte, die Arme über der üppigen Brust verschränkte und böse grinste. Maria beugte sich über Martin und küsste ihn. Er ließ es verdutzt geschehen, riss die Augen erstaunt auf, als nehme er seine Umgebung erst jetzt richtig wahr – und erwiderte den Kuss. Ihre Zungen trafen sich, spielten umeinander, ihre Münder verzehrten sich in lange aufgestauter Glut; sie schlangen die Arme umeinander, als wollten sie sich nie wieder loslassen, als seien sie zwei Teile eines Ganzen, das nun zum ersten Mal ungeteilt war. Maria schloss die Augen.
35. Kapitel
Wann hatte der Traum begonnen? Wann hatte der letzte Traum aufgehört? Martin wusste es nicht. Dieser Kuss konnte nur zu einem Traum gehören. Maria hatte sich neben ihn gesetzt und den Kopf an seine Schulter gelehnt. Er hatte den Arm um sie gelegt und hielt sie fest, als könne er sie so gegen alle Heerscharen der Hölle schützen. Mit diesem einen Kuss war sein altes Leben vergangen.
Er warf einen beschämten Blick hinüber zu Hilarius, der im Schein der Kerze natürlich genau mitangesehen hatte, was geschehen war. Aber der alte Pater schien sich kaum mehr in diesem Kellerloch zu befinden. In seinen Augen loderte ein Flammenschein, der stärker war als der jener einzelnen Kerze, die der bärtige Rabbi noch immer in der Hand hielt. Martin bemerkte, dass der Kopf wach war. Was mochte Hilarius nun sehen? Wie lange würde er es noch ertragen können?
Der Pater lehnte schlaff und zusammengesunken gegen die feuchte Wand; sein Mund stand halb offen, und Speichel zog sich in einem glitzernden Faden herab. Seine Bartstoppeln waren gewachsen und fleckten sein Kinn und seine Wangen jetzt mit Grau und Weiß. Und Haarsträhnen hingen ihm wirr und fettig ins Gesicht.
»Ich gehe nach oben und sehe nach, was passiert ist«, sagte Rabbi Lurja schließlich. »Vielleicht kann ich ja etwas in Erfahrung bringen.« Er stellte die Kerze in der Mitte des Bodens ab.
»Seid vorsichtig!«, mahnte Federlin. »Die Wölfe mögen zwar vielleicht nicht mehr heulen, aber ihr Appetit ist noch immer mächtig.«
Lurja nickte und drückte sacht gegen den Griff am Rücken des Schrankes. Leise glitt der Schrank nach vorn, und der Rabbi schlüpfte durch den entstandenen Spalt hindurch. Dann rückte er den Schrank vorsichtig wieder in seine ursprüngliche Position.
»Was wird er finden?«, fragte der Graf, als der Jude fort war.
»Vernichtung und Hass«, antwortete Federlin. »All das, wofür du stehst.«
»Das ist ungerecht«, erwiderte Graf Albert. »Ich will dasselbe wie du.«
Federlin schwieg darauf.
Hilarius stöhnte laut auf und schrie: »Lügner! Ihr seid alle Lügner! Wenn ihr sehen könntet, was ich sehe, würde es euch die Lügen aus dem Hirn brennen!«
»Bemerkenswert«, flüsterte der Graf.
»Nicht halb so bemerkenswert wie du, mein Kind«, meinte Federlin darauf, stand auf und setzte sich neben den
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