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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Brummen zu sein, das die Wände und den Boden sanft erschütterte. Dann ging es in einen Gesang über, der nicht von dieser Welt zu sein schien. Hilarius und Martin erstarrten in ihrer Bewegung; Hilarius’ Hand schwebte über dem Türknauf, senkte sich aber nicht. Die Zeit selbst schien sich auszudehnen; alles war verlangsamt; Hilarius konnte kaum den Kopf wenden, um Martin fragend anzusehen; es war, als müsse er sich durch Daunenfedern kämpfen. Schließlich gelang es ihm, den Kopf so weit zu wenden, dass er Martins erstauntes Gesicht sah.
     
    Dann hörte der Gesang unvermittelt auf, und auch das Gefühl der Schwere und Bewegungslosigkeit fiel von den beiden Mönchen ab. »Was war das?«, keuchte Martin.
     
    »Ich glaube, es kam aus dem Zimmer mit dem Gobelin«, meinte Hilarius. »Wir müssen dort noch einmal nachschauen.«
     
    »Sollten wir nicht besser Hilfe holen? Und Weihwasser?«
     
    »Wo sollen wir denn in diesem lutherischen Schlangennest Weihwasser auftreiben? Nein, Martin, wir sind auf uns allein gestellt. Ein Hexenschnüffler ist immer allein; alle fürchten ihn, jeder will, dass er seine Arbeit macht, aber niemand dankt ihm dafür – niemand außer Gott. Und jetzt komm.« Er war über sich selbst erstaunt. Viel lieber wäre er so rasch wie möglich aus diesem verhexten Haus geflohen, doch er durfte sich vor seinem jungen Schüler keine Blöße geben. Und mit Gottes Hilfe würde er es schon durchstehen.
     
    Doch aus dem Bauch heraus wusste er, dass das nicht stimmte.
     
    Sie gingen mit der Kerze in das Gobelinzimmer. Hilarius übergab Martin das Licht und suchte die Wände ab. Es gab keinerlei Fugen oder Ritzen, also auch keine Geheimtür. Vielleicht waren die Geräusche doch anderswoher gekommen?
     
    Sie setzten wieder ein. Nun war es ein tiefes, nicht unmelodisches Brummen. Hilarius glaubte, Worte heraushören zu können.
     
    Und seinen eigenen Namen.
     
    Jetzt hatte es den Anschein, als kämen die Töne unmitelbar aus dem Boden. Hilarius bückte sich und zerrte an dem schweren Gobelin. Er schien mit Feuchtigkeit vollgesogen zu sein; es schmatzte leise, als er ihn über den Boden schleifte. »Hilf mir!«
     
    Martin stellte die Kerze vorsichtig auf dem Boden ab; dann zerrte er gemeinsam mit Hilarius an dem ekelhaften Gobelin. Hilarius bemerkte, wie sich der Gesichtsausdruck des jungen Benediktiners veränderte, als auch er die Teufelsgestalt in einer Ecke des Wandteppichs bemerkte. Er sagte aber nichts.
     
    Schließlich war der Boden freigelegt. Und Hilarius sah, was er halb erwartet hatte.
     
    Eine Falltür.
     
    »Mach sie auf!«, befahl Hilarius, bevor er sich im Klaren darüber war, ob er wirklich dort hinuntersteigen wollte. Der Antichrist …
     
    Wieder gehorchte Martin sofort, auch wenn es offensichtlich war, dass er sich lieber meilenweit von diesem Ort entfernt befände. Wortlos zog er die Falltür auf; es schien ganz leicht zu sein. Sie war wohl gut geölt und häufig benutzt.
     
    Hilarius nahm die Kerze vom Boden auf und leuchtete hinunter. Eine kurze Flucht ausgetretener Stufen führte hinab und endete in einem schmalen Gang, der sich aus dem Blickfeld in die Schwärze fortstahl. Einen kurzen Augenblick ertönte noch die brummende Stimme von unten; dann plötzlich war alles wieder ruhig. Totenstill. Hilarius machte sich an den Abstieg; er hörte, wie Martin ihm zögernd folgte.
     
    Der Gang mündete schon nach wenigen Klaftern in eine geräumige unterirdische Halle. Als Hilarius ihrer angesichtig wurde, erstarrte er.
     
    So leer das Haus gewesen war, so übervoll war diese Halle. Bücherregale türmten sich im flackernden Schein der Kerze bis unter die gewölbte Decke; die alten und neuen Lederrücken blitzten und funkelten auf und verschwanden wieder in der Finsternis, wenn Hilarius die Kerze fortschwenkte. »Die Bibliothek des Zauberers«, murmelte Martin ehrfurchtsvoll. Sie war mindestens so umfangreich wie die Eberberger Klosterbibliothek. Doch diese Bücher hier atmeten Pest und Schwefel.
     
    Nicht nur Bücher gab es in diesem Raum. Beinahe hätte Hilarius es übersehen, als er sich um sich selbst drehte und den Hort verbotenen Wissens anstarrte. Langsam drehte er sich wieder zurück, bis das schwache Licht der Kerze den Umriss beleuchtete, den er vorhin nur undeutlich wahrgenommen hatte.
     
    »Willkommen in meinem Reich«, sagte der Umriss, löste sich von den schattenverklebten Regalen und trat in den Lichtkreis der Kerze. »Es freut mich, dass ihr hierher gefunden

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