Der schwarze Atem Gottes
nicht! Keine Nacktheit! Doch da lag seine Kutte bereits am Boden. Nur noch das Hemd verbarg ihn. Hollmann schaute ihn an, schien zu zögern, schaute auf den Bauch des Mönchs, kniff die Augen zusammen und machte dann den Schnitt.
Das Hemd verfing sich über dem großen Bauch. Hollmann riss an dem Stoff. Etwas Weißes, Faseriges kam zum Vorschein – und fiel zu Boden. Noch etwas. Hilarius stöhnte auf. Die Schmerzen in seinem Bauch wurden unerträglich. Dann fiel auch das Hemd.
Hollmann riss die Augen auf, riss den Mund auf, brachte kein Wort hervor. Hilarius stöhnte auf. Jetzt hörte er den Schrei, den er zuvor schon erwartet hatte. Martins Schrei. Er war schrecklicher, als es jeder Todesschrei gewesen wäre. Hilarius schaute verzweifelt an sich herab. Schwarze Blitze schossen durch seinen Bauch. Durch die Anschwellung, die auf seinem Bauch saß.
Durch den Kopf, der dort hockte, der ihm aus dem Bauch gewachsen war, der ihn schon sein ganzes Leben hindurch begleitete.
Sein Zwillingsbruder.
Hilarius hatte ihn die ganze Zeit über verzweifelt vor der Welt verborgen, hatte ihn mit Bändern und Stofffetzen ausgepolstert, hatte seine Gegenwart wie ein böses Omen mit sich herumgetragen und gewusst, dass der Tag kommen würde, an dem er sich den Forderungen dieses Omens nicht mehr entziehen konnte. Seit den letzten, geflüsterten Worten des Hexers aus Volkach war Hilarius klar geworden, dass die kommenden Ereignisse ihn in sich einsaugen würden. Und nun hatte es begonnen, denn sein Geheimnis war verraten. Und mehr als das.
Etwas strömte in den Kopf, füllte ihn aus und drang auch in den Körper des alten Paters. Laurenz Hollmann sank in sich zusammen. Hilarius hörte ungläubig die Worte, die er selbst nun ausspie:
»Laurenz Hollmann, ich habe deine Seele getrunken!«
10. Kapitel
Als Martin den verwachsenen Kopf auf dem Bauch des Paters Hilarius anstarrte, wäre der junge Mönch fast in Ohnmacht gefallen. Er konnte einfach nicht glauben, was er da sah; es war, als sei der Boden unter seinen Füßen verschwunden und als falle er in ein unendlich tiefes Loch. Er bemerkte, wie der Zauberer zusammensackte; es war, als lasse man aus einem Weinschlauch den ganzen Wein herausfließen. Hollmanns fleischige Hülle blieb schlaff zurück und sank auf die kalten Steinplatten.
Dann zuckte der zweite Kopf des Paters kurz, und Hilarius gab einen satten, seltsam zufriedenen Laut von sich.
Martin kreischte auf und zerrte wie ein Verrückter an seinen Fesseln. Tatsächlich spürte er, wie sie nachgaben. Er hörte ein knirschendes Geräusch, und er war frei.
Seine Füße wussten genau, was sie tun mussten. Selbst wenn Martin nicht hätte weglaufen wollen, so wäre ihm doch nichts anderes übrig geblieben, als seinen losrennenden Füßen zu gehorchen. Er wagte es nicht einmal, sein Habit vom Boden aufzunehmen, sondern rannte nackt, wie er war, aus dem Laboratorium. Auf dessen Schwelle warf er einen kurzen, flüchtigen Blick zurück.
Hilarius war es ebenfalls irgendwie gelungen, sich seinen Ketten zu entwinden; vielleicht hatte der dämonische Kopf ihm dabei geholfen. Hollmann lag in verdrehter Stellung reglos am Boden. Der alte Mönch bückte sich nach seiner Kutte. Dann schob sich eine Mauer vor Martins Blick.
Er hatte nur einen einzigen Gedanken: fort von diesem Haus! Die Sohlen seiner Sandalen klapperten über den harten, kalten Stein, während er durch das verzweigte unterirdische Labyrinth lief. Er kam an der Schlafkammer des Zauberers vorbei, gelangte dann durch einen weiteren Raum, an den er sich nicht erinnern konnte, und von dort aus in eine kleine Vorratskammer. Mit klopfendem Herzen blieb er kurz stehen und lauschte. Er hörte das Klappern eines weiteren Sandalenpaares; das Geräusch kam schnell näher. Wie kalt es hier war! Martin sah seinen eigenen Atem als fahle Wolke vor sich schweben. Er schlang die Arme um seinen frierenden, nackten Körper. Die Schritte näherten sich. Er wollte auf keinen Fall Hilarius in die Arme laufen; wer wusste schon, wozu sein zweiter, diabolischer Kopf in der Lage war? Martin rannte ziellos weiter.
Wo war der Ausgang?
Das unterirdische Höhlensystem war ihm nicht so groß erschienen, als er und der alte Pater von Hollmann zu seinem Laboratorium geleitet worden waren. Hier gab es keine Kammern mehr, sondern nur noch endlose Gänge, Abzweigungen, Kreuzungen. Die Wände waren grob behauen und glänzten
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