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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Tür hockte ein großer, mit Grünspan überzogener Türklopfer in der Form einer riesigen Spinne. Martin sah Hilarius an und bemerkte, dass dieser schlagartig nüchtern geworden war. »Spürt Ihr das auch?«, fragte Martin vorsichtig. All das Böse, das Teuflische, das Verderbte, das diese Mauern ausströmten …
     
    »Was soll ich spüren?«, gab der alte Mönch zurück, aber das Flackern in seinen Augen verriet, dass er unaufrichtig war. Einen Augenblick lang glaubte Martin, dass Hilarius auf dem Absatz kehrtmachen und zurückgehen würde. Doch dann schritt der Pater auf das uralte Portal zu und ergriff den abscheulichen Klopfer.
     
        
     

9. Kapitel
     
    Als die Messingspinne gegen die Tür fiel, löste sie einen Donner aus, der wie in einem riesigen Gewölbe lange nachhallte. Hilarius zuckte zusammen. Er verfluchte seine voreilige Zunge, die ihn in diese Situation gebracht hatte. Warum konnte er jetzt nicht in der Bibliothek seiner Abtei sitzen, in dem jüngst erschienenen ersten Band der »Disquisitiones Magicae« des großen Jesuiten Martin Anton Delrio lesen und die Geborgenheit und Ruhe des Klosters genießen? Hatten sich denn alle Mächte des Himmels und der Hölle gegen ihn verschworen? Warum konnte er nicht vergessen? Warum war er an diesen Ort getrieben worden, den er mehr fürchtete als den Teufel, den er allezeit im Munde führte?
     
    Die Tür schwang unter der Wucht des aufprallenden Klopfers nach innen; sie war nicht verschlossen gewesen. Martin schaute ihn erstaunt an. Hilarius erwiderte Martins Blick und drückte so vorsichtig gegen die Tür, als sei ihre Oberfläche vergiftet. Beinahe lautlos glitt sie ganz auf. Schatten strömten aus dem Haus heraus und umspielten schmeichelnd die beiden Mönche. Hilarius machte einen Schritt über die Schwelle und spähte in das dunkle Innere des Hauses. Er konnte kaum etwas sehen: einen Tisch; darauf befanden sich eine Kerze und ein Schwefelholz; ein zerbrochener Stuhl lag in einer Ecke; ansonsten besaß dieser Eingangsraum keinerlei Möblierung.
     
    Die Kerze auf dem Tisch war wie eine höhnische Einladung. Hilarius machte einen weiteren Schritt in die Dunkelheit des muffig und feucht riechenden Zimmers. »Hallo? Ist hier jemand?«, fragte er erst sehr leise, dann noch einmal etwas lauter. Er erhielt keine Antwort.
     
    Ein weiterer Schritt brachte ihn an den Tisch heran. Schnell ergriff er die Kerze und zündete sie an. Zuerst wollte der Docht kein Feuer fangen, doch schließlich wand sich eine winzige Flammenzunge in die dicke Düsternis, ohne hingegen viel zu erhellen oder zu entdecken. Hilarius warf einen Blick zurück auf Martin, der mit zitternden Händen noch draußen auf der Straße stand. »Komm endlich herein!«, herrschte Hilarius ihn an. Es war beruhigend, ein junges, kräftiges menschliches Wesen in der Nähe zu wissen. Zögernd betrat Bruder Martin das Haus. »Schließ die Tür.« Er gehorchte. Es war gut zu wissen, dass Martin immer tat, was der alte Mönch von ihm wollte. Jetzt standen sie in diesem gottverlassenen Raum, dessen Wände sie kaum erkennen konnten, und sahen erst einander und dann die schwache Flamme an.
     
    Sie drohte zu verlöschen.
     
    Hilarius legte schützend die Hand um sie und blieb dann unbeweglich stehen, damit er nicht einmal den kleinsten Luftzug verursachte. Nicht auszudenken, wenn sie in diesem Haus ohne Licht wären – in dieser Zauberhöhle, in der nicht nur ihr Körper, sondern auch ihre Seele in höchster Gefahr schwebte.
     
    Die Flamme erholte sich, brannte nun stetiger und wurde größer. Hilarius nahm die Hand wieder fort und sah sich um. Schimmel überzog die Wände in großen schwarzen Flecken. Es roch nach Feuchtigkeit und Moder. Vorsichtig ging Hilarius durch eine offen stehende Tür in den angrenzenden Raum. Auch hier bot sich ihm kein anderes Bild. Das Zimmer war fast völlig leer, verschimmelt und nasskalt. Doch der Boden war anders.
     
    Hilarius schaute verdutzt hinunter. Er stand auf einem großen Gobelin von der Art, die üblicherweise die Wände der Schlösser und Paläste bedeckte. Hier diente er als Bodenbelag. Welch eine dreiste Verschwendung! Das Stück musste unendlich wertvoll sein. Hilarius beugte sich nieder und hielt seine Kerze dicht über das Gewebe. Es war an vielen Stellen zerschlissen, sodass man kaum noch erkennen konnte, was auf diesem Kunstwerk einmal dargestellt gewesen war. Doch als Hilarius lange genug hinsah, begriff er, was ihn da aus einer Ecke

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