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Der schwarze Ballon

Der schwarze Ballon

Titel: Der schwarze Ballon
Autoren: Valerie Frankel
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daß die Fahrgäste mich mitleidig bis genervt anglotzten. Ich saß auf meinem Lieblingsplatz gleich neben der Tür — wir Schnüffler sind immer gerne möglichst nahe am Ausgang.
    Die Sonne knallte genau auf das Fenster, als der Zug über die Manhattan Bridge ratterte. Ich wandte geblendet den Blick ab und schaute durch das Fenster in den nächsten Wagen. Plötzlich sah ich ihn — denselben Schlapphut, der mich schon seit Tagen durch die ganze Stadt verfolgte. Ich machte mich ganz klein in meinem Sitz, in der Hoffnung, daß er mich nicht sehen würde. Im selben Moment wurde mir bewußt, daß es kein Zufall sein konnte, daß er in demselben Zug war wie ich — daß er mich also eh gesehen haben mußte. Ich richtete mich also wieder auf und beschloß, in die Offensive zu gehen. Belle hatte mir immer gepredigt, ich solle mich meinen Ängsten stellen.
    Ich wartete, bis der Zug an der Grand Street in China-town hielt, und ging hinüber in seinen Wagen. Eilige Asiaten ergossen sich laut schwatzend in den Wagen. Der Schlapphut schaute nicht in meine Richtung. Ich ging den Mittelgang hinunter, über Einkaufstüten und ausgestreckte Beine steigend. Mit der einen Hand hielt ich Mama in meiner Handtasche, mit der anderen hielt ich mich an der Haltestange über den Sitzen fest.
    Ich stand direkt vor ihm, als der Zug sich mit einem Ruck in Bewegung setzte. Ich taumelte zurück. Mit einer blitzschnellen Bewegung hielt er mich am Handgelenk fest und bewahrte mich so vor einem Sturz. Mama fiel aus meiner Handtasche und schlitterte unter seinen Sitz. Eine alte Chinesin kreischte auf. Alle Augen im Wagen richteten sich auf meine Pistole. Der Griff des Mannes wurde fester. Ich versuchte mich von ihm loszureißen. Er langte unter seinen Sitz und angelte nach Mama. Ich sah, wie er sie zu fassen bekam und sein Finger sich um den Abzug legte. Ich schloß die Augen und bekam einen Schwindelanfall.
    Er schüttelte mich und sagte: »Hey, Baby. Wach auf.« Er zog mich auf den Sitz neben ihm. Er sagte: »Du hast deine Knarre fallen lassen.« Ich musterte ihn aus nächster Nähe und entschuldigte mich. Die Fahrgäste wandten sich wieder ihren Zeitungen zu. So etwas gibt es nur in New York. Das kommt davon, wenn man zuviel säuft, dachte ich. Ich hätte besser meine Brille aufgesetzt.
    Als ich schließlich auf der 42. Straße ankam, war ich wieder sicher auf den Beinen. Ich spurtete hinüber zu Do It Right. Alex würde schon da sein und auf mich warten. Ich mußte als erstes zwei Dinge mit ihm klären: erstens, daß ich ihn für den Fall Belle Beatrice wollte, und zweitens, daß ich ihn für mich wollte. Ich bin nicht sicher, wann ich mir über das letztere klargeworden war. Ich nehme an, daß ich es schon eine ganze Weile gewußt habe. Und wenn er tausendmal eine Freundin hatte und mein Kollege war! Unsere Unterhaltung würde etwa so ablaufen:
    Er würde auf dem Klientensessel sitzen. Ich würde reinkommen und sagen: »Hi, Alex. Als erstes muß ich dir sagen, daß es mir leid tut und ich mich bei dir entschuldigen möchte.«
    Er würde abwehrend die Hand heben und sagen: »Nein, Wanda. Ich muß mich entschuldigen.«
    Darauf würde ich sagen: »Alex, Alex. Immer nimmst du die Schuld für meine Taktlosigkeiten auf dich. Aber diesmal laß ich das nicht zu. Es stimmt, ich habe Candies Nummer aus deiner Brieftasche genommen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie fürchterlich schäbig ich mich fühle, daß ich dich angelogen habe. Und daß ich das Risiko eingegangen bin, dein Vertrauen zu verlieren. Ich weiß nicht, ob ich das verkraften kann.« Zu dem Zeitpunkt würde ich mir noch keine Tränen abquetschen.
    Er würde sagen: »Wanda...«
    Ich würde abwehrend die Hand heben und sagen: »Nein, laß mich ausreden. Ich habe auch gelogen, als ich sagte, mein Kuß wäre platonisch gewesen. Ich will, daß du weißt, daß er es nicht war. In der ganzen Zeit, seit wir uns kennen, bin ich niemals auch nur im entferntesten auf die Idee gekommen, daß wir mehr als Freunde sein könnten. Als ich dann plötzlich merkte, daß ich das wollte, daß ich mehr als einen Freund in dir sah, da wußte ich nicht, wie ich mich verhalten sollte. Vielleicht habe ich dich deshalb so schlecht behandelt, weil ich so durcheinander war. Du mußt das verstehen. Außerdem war ich ziemlich fertig wegen Belles Tod und dem ganzen Drumherum. Ach, und übrigens, Skip bedeutet mir überhaupt nichts. Er ist lediglich ein Lustventil und ein Barscheck für mich. Mehr nicht. Ich will dich.
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