Der schwarze Kanal
Schriftsteller sein, der die meisten deutschlandpolitischen Irrtümer verkündet hat.»
Seine Fehlleistungen hinderten Grass selbstredend keine Sekunde, von sich und seinesgleichen eine hohe, ja die höchste Meinung zu haben. Insofern ist er ein typischer Vertreter jener Spezies von Mensch, die sich die Fähigkeit zur ironischen Selbstdistanz schon vor dem ersten Bauchansatz abtrainiert hat. Seit Grass 1965 sein «Loblied auf Willy» anstimmte und dann das «Wahlkontor deutscher Schriftsteller» ins Leben rief, gehört es zum Selbstverständnis deutscher Kulturschaffender, mit politischen Aufrufen aus dem Dunkel ihrer Schreibstuben zu treten und ihr «Engagement» unter Beweis zu stellen. Dass der Einsatz nicht ganz so selbstlos ist, wie es die Beteiligten gerne vorgeben, liegt auf der Hand.
In den Erinnerungen des Brandt-Beraters und Redenschreiber Klaus Harpprecht an seine Zeit im Kanzleramt lässt sich nachlesen, wie eine kleine Runde nach dem Wahlsieg der SPD 1972 die Einrichtung einer Nationalstiftung erörterte. Dabei sollte auch eine Position für Grass abfallen, der für seinen Wahleinsatz eine offizielle Anerkennung erwartete. Willy Brandt stand der Idee deutlich skeptisch gegenüber, Grass verrenne sich «immer wieder in die Illusion, dass er die Wähler unmittelbarer repräsentiere als die Partei». Und am 9. März 1973 notierte Harpprecht: « BK (Bundeskanzler) ist auch nicht ganz sicher, ob G. G. nicht eine seiner absurden Ideen einbringen werde, wie damals beim Mauerbau, als er vorschlug, man solle alle Zigeuner Europas nach Berlin rufen, weil die Zigeuner bekanntlich jede Grenze durchlässig machten.» Als Harpprecht den Dichter wenig später in seinem Haus in Norddeutschland aufsuchte, konstatierte er bei Grass eine «gewisse Bitterkeit», dass man ihn in Bonn nicht so zu benötigen schien, wie er sich gedacht hatte, dass man ihn benötigen würde. «Er scheint darauf gewartet zu haben (und noch darauf zu warten), dass man ihm ein konkretes Arbeitsangebot macht», heißt es in einem anschließenden Gesprächsvermerk an Brandt. «Es bedrückt ihn, dass er den Bundeskanzler so wenig sieht. Mit Ein-Stunden-Terminen dann und wann will er sich nicht begnügen.»
Schriftsteller sind phantasiebegabte Menschen, die zu sich selbst in der Regel keinerlei Distanz haben. Anders würden sie die entbehrungsreiche Anfangszeit auch nicht durchstehen, in der ein Erfolg alles andere als ausgemacht scheint. Das ist gut für die Kunst, aber verhängnisvoll für die Weltbeurteilung, wie man am Beispiel von Grass leicht erkennen kann.
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Das Griechenland-Komplott
Ein Vorteil jeder Verschwörungstheorie ist das Aha-Erlebnis, das der Moment der Erkenntnis auslöst, wenn die Teile zusammenkommen, die eben noch unverbunden nebeneinanderlagen. Man muss sich nur trauen, die Dinge einmal anders zu betrachten, als sie uns präsentiert werden, dann ergeben sie plötzlich einen überraschend klaren Sinn.
Nehmen wir die offizielle Version der Euro-Krise. Für den unbedarften Zeitgenossen ist der Niedergang Griechenlands Folge einer Politik, die auf übermäßige Schulden statt auf Wachstum setzte und für die nun, mit Verspätung, die Rechnung präsentiert wird. So erklärt es uns die Kanzlerin, so lesen wir es in der Zeitung. Aber sollen wir das wirklich glauben? Was, wenn dahinter ein Plan von ganz anderer Seite stünde? Wenn es in Wahrheit darum ginge, am Beispiel dieses kleinen, an der Peripherie des Euro-Raums gelegenen Staates einmal durchzuspielen, wie man ein Land so weit destabilisieren kann, dass es zum Übungsfeld neoliberaler Zwangsmaßnahmen wird? Muss man nicht bei genauerem Nachdenken viel eher zu der Vermutung kommen, dass die Griechen bewusst über billige Kredite in die Schuldknechtschaft geführt wurden, um sie zum Soziallabor zu machen?
Als «Schock-Therapie» firmiert diese Deutung der Griechenland-Pleite. Wer das für einen Witz hält, der bestenfalls in der Blogosphäre zirkuliert, hat lange nicht mehr das Mittagsprogramm des WDR gehört. Oder versäumt, Naomi Klein zu lesen. Die kanadische Heroine der Globalisierungskritik hat bereits vor vier Jahren das Grundkonzept der «Schock-Strategie» freigelegt, mit der die Agenten des Kapitals die neue Ordnung der Radikalökonomie zu etablieren versuchen. Alles kommt bei ihr zusammen, die Folterkeller in Chile, Milton Friedman, die CIA , das Pentagon und, natürlich, die Herren der Wall Street. Es funktioniert wie Gehirnwäsche: Der
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