Der schwarze Kanal
Kapitalismus braucht die Katastrophe, um die Menschen gefügig zu machen, so lernen wir bei Klein. Wo sich diese nicht von selber einstellt, helfen die Männer im Hintergrund gern ein wenig nach.
Es ist kein Zufall, dass sich das paranoide Denken vor allem in den kritischen Kreisen hält. Wer laufend gegen das Böse kämpft, gegen übermächtige Feinde und böse Machenschaften, dessen Gemütszustand ist naturgemäß etwas angespannt. Der Kampf gegen drohendes Unheil, sei es der Atomtod oder die Diktatur der Finanzmärkte, gibt dem Leben Richtung und Sinn – was sich bei der Nachwuchsgewinnung durchaus bezahlt macht. Nur führt die nervöse Weltsicht eben auch dazu, dass sich die Perspektiven verschieben und der Realitätssinn leidet. Von der Rede über das «System» bis zur Annahme, das SIE im Hintergrund die Fäden ziehen, ist es nur ein kleiner Schritt.
Kennzeichen der Verschwörungstheoretiker ist die Fähigkeit, auch das passend zu machen, was sich auf den ersten Blick nicht ins Bild fügen will. Aber man darf sich nicht täuschen lassen. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass ausgerechnet der Bundeskanzlerin jetzt die Aufgabe zufällt, die neoliberale Zwangsherrschaft in Europa durchzusetzen? Hätte man ihr gar nicht zugetraut, so viel sinistre Energie. Aber das ist ja gerade der Trick: Je harmloser jemand wirkt, desto mehr muss man sich vor ihm in Acht nehmen. Wie war das noch mit der Geburtstagsfeier, die Angela Merkel für den Deutsche-Bank-Chef im Kanzleramt ausgerichtet hat? Schon vergessen? Bis vor Gericht kämpften ihre Handlanger gegen die Herausgabe der Teilnehmerliste.
Das paranoide Denken ist kein Privileg der Linken, sicher. Auch am rechten Rand gibt es jede Menge Leute, die den merkwürdigsten Phantasmen nachhängen, angefangen damit, dass Obama gar kein Amerikaner sei. Aber solche Zwangsvorstellungen verlassen selten den Kreis der Gläubigen. Kein Presseorgan, das etwas auf sich hält, käme auf die Idee, ihnen größeren Platz einzuräumen. Wie gesellschaftsfähig dagegen die linke Verschwörungstheorie selbst unter aufgeklärten Menschen ist, für die Elvis nicht noch irgendwo unerkannt ein Rentnerdasein fristet, zeigen die Mutmaßungen rund um den 11. September. Wer behauptet, dass Osama Bin Laden eine Erfindung der CIA ist, schafft es damit spielend ins Kulturprogramm der ARD , wo dann das Für und Wider dieser Theorie erörtert wird.
In der «Süddeutschen Zeitung» war eine ausführliche Besprechung eines Buches zu lesen, das so ziemlich alles in Frage stellt, was als gesicherte Erkenntnis zu den Anschlägen gilt – von der Identität der Attentäter bis zur Flugnummer der Maschinen, die am 11. September in New York, Washington und Shanksville in Flammen aufgingen (die Flugzeuge wurden in der Luft ausgetauscht!). Man sollte annehmen, dass solcher Hokuspokus dahin verwiesen wird, wo er hingehört, nämlich ins Reich der Mythen. Stattdessen empfahl die « SZ » das Werk als «hochinteressantes Buch», das «nachdenklich stimmt, auch wenn man den Vermutungen nicht folgen mag». Zu den Vermutungen, die in München als so interessant erschienen, dass man ihnen eine halbe Seite im Feuilleton einräumte, gehörte die Annahme, dass die US -Regierung die Anschläge selber in Auftrag gegeben hat. Warum sie das getan haben soll? «Um die Bürger des eigenes Landes schockiert und verängstigt in den Krieg zu schicken», wie die Autoren des Verschwörungsbüchleins «11. 9. – Zehn Jahre danach» messerscharf schlussfolgern. Fehlt in der Aufzählung der Hintermänner eigentlich nur noch der Mossad, aber den hat man sich mit Rücksicht auf die deutschen Leser wohl gespart.
Sobald der Satan Amerika in der Nähe auftaucht, scheint alles möglich. Große Ereignisse verlangen nach großen Verursachern – was liegt da näher als ein Verweis auf die Wirtschafts- und Militärmacht, die noch immer als die bedeutendste der Welt gilt, trotz Finanzkrise und Dollarschwäche? Wahrscheinlich werden wir als Nächstes irgendwo lesen, dass SIE die Kritiker des neoliberalen Weltumbaus mit geschickt gestreuten Verdächtigungen zu Fall bringen.
Aber halt, das hatten wir ja schon. Der Mann hieß Dominique Strauss-Kahn und war, wie wir wissen, das Opfer einer Intrige aus dem Élysée-Palast, um ihn als Kandidaten der Sozialisten aus dem Rennen zu schubsen. Wurde in der Zeit nicht auch noch die Frau des französischen Präsidenten schwanger? Wie praktisch. Na, wer da noch an Zufälle glaubt, dem ist wirklich
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