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Der schwarze Kanal

Der schwarze Kanal

Titel: Der schwarze Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Fleischhauer
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Lebensfragen dagegen ziemlich konservativ, bis sie an der Seite der Grünen lernte, Gentechnik, Kernkraft und Hochgeschwindigkeitszüge als unmodern zu empfinden und die Patchwork-Familie als modern.
    Ein Ergebnis dieser Wandlung besteht darin, dass die CDU die letzte deutsche Volkspartei ist. Aber auch dieses Monopol lässt sich brechen

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Die Irrtümer der Guttenberg-Gegner
    Es ist immer wieder rührend mit anzusehen, wenn sich Menschen, die einst schon den Verzicht auf ein Deo und das «Sie» in der Anrede als revolutionäre Tat feierten, Sorgen um die Erosion bürgerlicher Verkehrsformen machen. Überall herrschte großes Händeringen – je weiter man nach links blickte, desto ringender. Der Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sah «Sitte und Anstand» in Deutschland gefährdet und das «Vertrauen in die Institutionen des Landes» erschüttert, die Vertreter der Linkspartei beklagten den Verfall der «politischen Kultur in Deutschland», die SPD glaubte das Land bereits auf dem Weg in «eine andere Republik».
    Was war passiert? Hatte die Bundeskanzlerin für den Tag ihres Ausscheidens einen Vertrag mit dem Kremlkonzern Gazprom geschlossen? War ihr Mann in den Aufsichtsrat eines großen Unternehmens berufen worden, obwohl er eingestandenermaßen nichts von Wirtschaft versteht? Nein, der Bundesminister der Verteidigung, Karl-Theodor zu Guttenberg, hatte sich bei der Abfassung seiner Doktorarbeit zu großzügig aus den Arbeiten anderer Leute bedient. Eine unverzeihliche Schlamperei bei den Fußnoten, und schon drohte den «Fundamentalwerten einer bürgerlichen Gesellschaft» irreparabler Schaden.
    Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Guttenberg gerade kein Bürgerlicher ist, wie schon ein Blick auf die Liste seiner Vornamen zeigt, vom Freiherrn ganz zu schweigen. Wenn überhaupt, dann lässt der fahrlässige Umgang mit den Usancen des Wissenschaftsbetriebs ein Standesbewusstsein erkennen, wie es dem Adel seit jeher eigen ist. In dieser Welt nimmt man sich, was einem zu gebühren scheint. Das war früher, als noch das «ius primae noctis» galt, die Tochter des Müllermeisters und heute eben der «Dr. jur.» an der Universität Bayreuth. Gerade Linke sollten Klassenunterschiede kennen, ihr ganzes Theoriegebäude beruht schließlich darauf. Aber irgendwie scheint den heutigen Vertretern die Erinnerung an die Grundbegriffe des Marxismus abhandengekommen zu sein – was nur den Schluss zulässt, dass die meisten tief und fest geschlafen haben, als die Kritik der politischen Ökonomie an der Reihe war.
    Nun kann man natürlich auch die Bundeskanzlerin dafür schelten, dass sie ihren Verteidigungsminister nicht gleich fallenließ, als sie die «Süddeutsche» dazu aufforderte. Indem sie ihn halte, gebe sie ein verheerendes Beispiel, hieß es. Nun ja. Jedes Kind durchschaut die Empörungsroutine, mit der das Opfer des Volkshelden gefordert wurde. Der Opposition ging es nicht um die Wissenschaftsstandards in Deutschland, sondern um den Fall eines Ministers, der immer noch populärer ist als alle Führer der Gegenseite zusammen. Das war legitim, hatte aber nichts mit Moral zu tun. Außerdem ist es durchaus auch ein konservativer Wert, einem bedrängten Kameraden in schwerer Stunde beizustehen.
    Es ist überhaupt ein Missverständnis, von Konservativen ein durchgängig untadeliges Benehmen zu erwarten, nur weil sie noch Werte wie Redlichkeit und Anstand im Munde führen. Krumme Touren, Ehebruch oder Bereicherung im Amt kommen in den besten Familien vor, da machen die Rechten keine Ausnahme. Die Frage ist nur, ob man dies als tadelnswerte Abweichung betrachtet oder eher als lässliche Sünde, ja sogar lobenswerte Auflehnung gegen die repressive Bürgermoral. Auch in Bayreuth verleiht sich ein Doktorand nicht selber seine Note. So gesehen hätten die Professoren, die dem Minister mit der ewigen Verachtung des Wissenschaftsbetriebs drohten, ihren Zorn lieber gegen die eigenen Kollegen richten sollen, die für eine aus Zeitungsartikeln und Lexikoneinträgen zusammengeschusterte Arbeit ein «summa cum laude» vergeben hatten.
    In der Elite hatte man sein Urteil schnell gefällt, jetzt erwartete man, dass die Leute folgten und ebenfalls den Kopf des Ministers forderten. Umso größer das Unverständnis, dass die Mehrheit zu dem bedrängten Manne hielt. Nach der ersten Runde an Vorwürfen stiegen dessen Sympathiewerte sogar noch einmal. Dies konnte man sich in den aufgeklärten Vierteln nur mit der

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