Der schwarze Kanal
gefordert, die weltweit entschlossen für die Menschenrechte eintritt. Das klingt gut, wer will etwas dagegen haben? Eigenartig nur, dass dieselben Leute, die jetzt so vehement mehr Idealismus einfordern, gerade eben noch die USA für ihre Abkehr von den Prinzipien der Realpolitik gescholten haben. Es war, so schmerzlich dies auch für den einen oder anderen sein mag, der verhasste George W. Bush, der an die Demokratisierung der islamischen Welt glaubte und sich dafür den Hohn und Spott der gesammelten Linken einhandelte.
Ohne auch nur einen Muslim näher zu kennen, wussten alle gleich, warum sich das Modell westlicher Demokratien nicht auf eine rückständige Gesellschaft wie den Irak übertragen lasse und der neokonservative Glaube an den universalen Drang nach Freiheit und Fortschritt naiver Unsinn sei. Möglicherweise hatten die Kritiker sogar Recht, wenn auch aus den falschen Gründen. Für viele Menschen scheint die Aussicht auf Stabilität und Ordnung in der Tat mindestens so wichtig zu sein wie die Garantie bürgerlicher Grundrechte.
Jetzt können wir nur gemeinsam hoffen, dass der Freiheitsdrang am Ende siegt. Die ägyptischen Muslimbrüder haben Amerika und Israel ebenfalls als die Schuldigen ausgemacht, allerdings in der umgekehrten Reihenfolge. Für sie ist Mubarak ein «zionistischer Agent», weshalb er wie die Zionisten vernichtet gehört, dann kommen die «Helfer» aus Amerika. Die eigentliche Revolution ist so gesehen, dass die arabische Jugend nicht auf die Straße ging, um US -Flaggen zu verbrennen und Israel den Tod zu wünschen, sondern sich die eigene Regierung vornahm. Mal sehen, wie lange das anhält.
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Eine Träne auf Reisen
Einer der großen Vorzüge der Sozialdemokratie war immer ihr unsentimentaler Blick auf die Welt. Eine Bewegung, die schon die Bismarck’sche Sozialistenverfolgung hinter sich hat, ist naturgemäß nicht so leicht zu erschüttern. Unvergessen der Auftritt des großen Franz Müntefering, der in einer Rede vor dem Bundestag zur Zukunft der Rente daran erinnerte, es werde nicht helfen, «Lotto oder Balalaika zu spielen und zu hoffen, dass man so morgen oder übermorgen ausreichend Geld in der Tasche hat». So reden Leute, die sich einen nüchternen Realitätssinn bewahrt haben, deshalb verdankt das Land der SPD auch die Hartz- IV -Gesetzgebung.
Doch Mentalitäten ändern sich, wie man weiß, und weil die Durchgrünung der SPD weit fortgeschritten ist, hat auch sie jetzt an führender Stelle ihre Claudia Roth, für die nicht die Bestandsaufnahme der Wirklichkeit, sondern die freie Träne zählt. Der mecklenburgischen Sozialministerin und stellvertretenden Parteivorsitzenden Manuela Schwesig wird eine große Karriere vorausgesagt, seit sie bei den Verhandlungen über die Hartz- IV -Bezüge die Sozialdemokraten vertrat. «Frau Merkel ist eine eiskalte Machtpolitikerin, sie hatte keine Lust mehr darauf», erklärte Schwesig mit bebender Stimme, als das vorläufige Scheitern der Gespräche feststand. «Darüber bin ich sehr sauer. Ich habe daran gedacht, was geht bei denen vor, die dieses Geld brauchen. Daran denkt aber die Kanzlerin nicht. Sie hat zwei Millionen arme Kinder verraten.»
Es ist verständlich, wenn man nach einer langen Verhandlungsnacht darüber enttäuscht ist, dass man sich mit seinen Positionen nicht durchsetzen konnte, aber muss man deshalb gleich die Fassung verlieren? Ja, man muss, unbedingt. Es gilt sogar als Zeichen besonderer Authentizität, wenn man sich als Politiker die Erschütterung anmerken lässt, dass die andere Seite so uneinsichtig war, auf ihrer Meinung zu beharren; schließlich geht es ja um Belange, die keinen Aufschub vertragen.
Der Sentimentalpolitiker appelliert an den Affekt, das verleiht ihm solche Überzeugungskraft. Er vertritt grundsätzlich Anliegen, gegen die kein normaler Mensch etwas haben kann: den Schutz der Robben, der Eisbären oder eben der «armen Kinder». Wer Einwände vorbringt oder wie im Hartz- IV -Streit auf die Berechnungsgrundlage verweist, zeigt nur, dass er ohne Herz ist, wie es Frau Schwesig der Bundeskanzlerin so gefühlsstark vorgehalten hat. Da muss man sich mit den lästigen Fragen einer Regelung, die 60 Milliarden Euro im Jahr an Steuergeldern verschlingt, nicht mehr länger beschäftigen, etwa der, wie es eigentlich sein kann, dass der Aufschwung am Arbeitsmarkt an den Hartz- IV -Beziehern fast komplett vorbeigeht.
«Kälte» ist einer der Signet-Begriffe der
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