Der schwarze Krieger
Älteren erstaunt. Seitdem war es noch viel kälter geworden. Doch der kürzeste Tag sei bereits vorbei, sagte Attila. Bald würde Tsagaan Sar gefeiert werden, das Neujahrsfest, und kurz darauf der Frühlingsbeginn. Sie lachten bitter. Hier kam das Frühjahr sehr spät, eigentlich immer zu spät.
Manchmal blies der Nordwind aus den Weiten Skythiens, und dann drängten sich auch die abgehärtetsten Männer in den Zelten bei den Frauen um einen Platz am Feuer. In den Pferchen starben Pferde im Stehen, sie fielen in einer Wolke aus Eis auf den hartgefrorenen Boden. Ab und zu wehte jedoch auch eine Brise aus Süden heran, und dann war es beinahe warm genug, dass der Schnee schmolz und die großen Eisschollen, die von Norden her den Fluss hinabtrieben, in der Mitte des Stroms tauten. Die Männer liefen dann mit bloßen Armen umher und sonnten sich im schwachen Sonnenschein, die Jüngeren waren bis hinab zur Hüfte nackt und freuten sich über die plötzliche Wärme. Ihre kupferfarbene Haut zeigte einen ungewöhnlichen blaugrauen Unterton.
An solch einem milden Tag ging Attila zu Himmel-in-Fetzen. «Es ist Zeit, unsere Zelte abzubrechen und nach Osten zu ziehen.»
Der Häuptling sah ihn verwundert an. «Es ist mitten im Winter!»
«Die Zeit bleibt nicht stehen», sagte Attila, «und wir sollten es auch nicht.»
«Warum diese Eile?»
Attila blickte ihn auffordernd an. «Wir haben noch die ganze Welt zu erobern!»
«Du willst zu diesem Römischen Reich reiten? Im Winter?»
Er schüttelte den Kopf. «Es braucht mehr als unsere zweitausend, um gegen Rom zu kämpfen, wie kampferprobt sie auch sein mögen. Wir reiten nach Osten. Dort gibt es noch mehr Verbündete, die sich uns anschließen werden. Bei den Bergen von Altun Shan liegt ein verstecktes Königreich, das von einem syphilitischen Gottkönig regiert wird. Es ist ein großer Stamm, und seine Krieger sind untätig, aber stark. Und es gibt noch andere. Viele werden sich uns anschließen. Wir dürfen nicht länger hier herumsitzen.»
Himmel-in-Fetzen verschränkte die kräftigen Arme vor der Brust und schob den Unterkiefer vor. «Es ist nicht möglich», sagte er, «im Winter in die Berge zu reiten.»
«Was uns nicht umbringt, macht uns stark.»
«Aus mir spricht die Vernunft», antwortete Himmel-in-Fetzen. «Wir reiten im Frühjahr. Am Tag der ersten Wildblume und keinen Tag früher.»
***
Drei Tage später ritten sie los, Himmel-in-Fetzen kleinlaut und schweigsam. Die Überzeugungskünste dieses gelbäugigen Banditenkönigs waren außerordentlich.
Bevor sie nach Osten zogen, scherte Attila aus dem riesigen,dahinrumpelnden Zug mit Ochsen, Gespannen und zahllosen Pferden aus und ritt allein zurück auf das Hochplateau. Er fand die Dorfbewohner, zusammengekauert saßen sie unter schlichten Planen inmitten der Ruinen ihrer verkohlten Hütten. Er fragte nach der alten Priesterin. Sie tauchte auf und bot ihm Brot und Salz an. Er lehnte ab.
«Wir reiten nach Osten», sagte er.
«Im Winter? Das ist Wahnsinn.»
Er seufzte. «Das habe ich schon einmal gehört.»
Sie verzog das Gesicht. Andere Dorfbewohner kamen neugierig näher.
«Der Fluss gehört euch. Er wurde euch zurückgegeben.»
Die Leute sahen ihn erstaunt an und tauschten verwunderte Blicke. Dann entspannten sie sich und begannen zu lachen und traten vor, um die Beine ihres Retters zu umschlingen, den Hals seines Pferdes, einfach irgendetwas. Er ließ Chagelghan zurückweichen und verbeugte sich.
«Der Fluss gehört euch, wie es immer schon war. Euren Göttern sei Dank.»
Die alte Priesterin beäugte ihn seltsam.
«Ihr könnt wieder Fisch essen», sagte Attila, «wenn ihr das müsst.»
Sie lächelte beinahe. «Du magst keinen Fisch?»
«Ebenso sehr wie Liebende das Morgengrauen, ehrwürdige Frau.» Er grinste und wendete in einer schwungvollen Bewegung sein Pferd. Etliche Dorfbewohner sprangen zur Seite. «Wie Liebende das Morgengrauen!» Er straffte die Zügel, sodass seine Muskeln anschwollen, und hieb die Absätze in die Flanken seines Pferdes. Zum Abschied stieß er ein «Yah!» aus, Chagelghan bäumte sich auf seinen dicken, gedrungenen Hinterläufen auf und preschte los. In einerWolke aus Staub und Pulverschnee verschwanden Ross und Reiter in der einsamen Hochebene.
Die Dorfbewohner liefen aufgeregt umher wie ein Haufen Ameisen. Bei Einbruch der Nacht würden sie sich wieder an ihr geliebtes Ufer trauen. Sie würden dort Treibholz einholen, das von den nördlichen Wäldern herabgeschwommen
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