Der schwarze Krieger
mir sagen?», fragte er ganz leise. «Dass ich mich irre?»
Chanat sah auf und erwiderte den Blick seines Königs. «Ja, Herr. Ich flehe Euch an, lasst uns einen anderen Weg nach Hause einschlagen und diese Leute hier zurücklassen. Es ist nicht unser Blut, es sind nicht unsere Leute, und ich fürchte, dass ihre Bräuche und ihr dunkler Name uns bis ans Ende der Welt verfolgen werden. Schüttelt sie ab, wie ein Hund die Flöhe verscheucht.»
Die Atmosphäre war zum Zerreißen gespannt. Jeden Augenblick konnte der König einen Tobsuchtsanfall bekommen. Das Schweigen war zermürbend.
Endlich ließ Attila sein Urteil verlauten: «Die Kutrigurischen Hunnen, unsere Brüder, bleiben bei uns.»
Es gab einen kurzen Moment der Stille, dann hieb Chanat seine Klinge in den Boden. Er erhob sich und ging schweigend hinaus in die Dunkelheit.
An einem Lagerfeuer sah er die Hexe Enkhtuya sitzen, sie briet einen Brocken Fleisch an einem Spieß. Es sah aus wie ein Herz.
***
Enkhtuya kam nicht mehr zu Attila. Seine Verbände wurden wieder von der Frau gewechselt, die ihn am ersten Tag betreut hatte. Sie war freundlich und blies sich in die hohlen Hände, um sie aufzuwärmen, bevor sie sich an den Verbänden zu schaffen machte. Sie war nicht mehr jung, aber ihre Hände waren noch weich.
«Hast du einen Ehemann?»
Sie hielt den Kopf gesenkt und wagte nicht, ihn anzusehen. «Er wurde getötet», sagte sie und fügte rasch hinzu: «Nicht in der Schlacht. Letzten Winter.»
«Aha.»
Als sie fertig war, fuhr er mit der Hand unter den Saum ihres Gewandes aus Rehleder und streichelte die Rückseite ihres Schenkels.
Sie sah mit gesenktem Kopf zur Seite. Doch sie rührte sich nicht von der Stelle.
Später, als sie das Zelt verließ, wagte sie, ihn anzusehen: «Geht es Euch besser, Herr?»
Er drehte sich um und gab einen zornigen Laut von sich, und sie verschwand.
Was als schwieriger Waffenstillstand zwischen Feindenbegonnen hatte, änderte nun seinen Charakter. Obwohl sich zunächst niemand hatte vorstellen können, dass Männer, die mit ansehen mussten, wie ihre Brüder, Väter und Söhne von diesen arroganten Eindringlingen geschlachtet wurden, nun Schulter an Schulter kämpfen würden, schien dies mit der Zeit doch möglich. Vielleicht ließ sich eine Einheit zusammenschmieden. Den Kutriguren war mehr an Krieg und Eroberung gelegen als an Hass und Rache. Sie hatten grausame, barbarische Bräuche, zeichneten sich aber durch eine gewisse grobschlächtige Vornehmheit aus.
Attila sprach lange mit Himmel-in-Fetzen. Er fand ihn umgänglicher als zu Beginn. Der stiernackige Häuptling entbehrte jeglicher Durchtriebenheit und jeglichen Verständnisses für Menschen, aber er war kräftig, schlicht und aufrichtig. Attila begann, ihn allmählich zu mögen.
Auf den verschneiten Ebenen fing er an, die Kutriguren bei Kampfübungen zu beobachten, und bald unterwies er sie in der Kriegskunst.
Himmel-in-Fetzen blieb natürlich Anführer der Kutriguren. Wenn es um rechtliche Stammesangelegenheiten ging, um Bestrafung, um das Arrangieren und die Bewilligung von Heiraten oder um Begräbnisse, war er nach wie vor die höchste Autorität seines Volkes. In Fragen der Kriegsführung lenkte er jedoch ein und erkannte die Überlegenheit des Neuankömmlings an. Und derjenige, der im Krieg den Ton angibt, ist Herrscher über alles.
Von Attilas ursprünglich hundert Männern hatten einundneunzig überlebt. Viele der verwundeten Kutriguren waren qualvoll in ihren Zelten verendet, von aufgelösten, mit Asche bedeckten Frauen beweint. Doch die Zahl der Überlebenden war weit größer. Zusammen bildeten sie ein Heer von zweitausend Mann, an Pferden waren es noch viermalso viel. Ihr Ehrgeiz war so grenzenlos wie der Himmel selbst.
Dadurch, dass die Hunnen von jeher begierig auf Gold waren und sie die Schätze des untergehenden Reichs namens Rom lockten, vermischten sich die beiden Stämme allmählich, und die allgemeine Kameradschaft festigte sich. Schließlich kam es zu Liebesbeziehungen und Ehen untereinander, und die Schwarzen und die Kutrigurischen Hunnen wurden zu einer festen Einheit verschmolzen.
Seine eigenen Männer wies Attila an, Witwen zur Frau zu nehmen oder alte Frauen ganz im Allgemeinen, also Frauen jenseits der dreißig. Er selbst hatte dies auch getan. Die Frau, die er sich ausgesucht hatte, war Witwe und mit ihren achtundzwanzig Jahren keineswegs mehr jung. Er verbot ihnen, Jungfrauen nachzustellen oder zu heiraten. Seine Männer
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