Der schwarze Krieger
gütige Berührung, einen liebevollen Blick spüren durften.
Was für Götter haben eine Welt erschaffen, in der solche Dinge geschehen?
Bei den Hunnen war es zumindest Brauch, dass schwachsinnige Kinder wie jenes hier rasch und gnädig umgebracht wurden; einer der Krieger spannte bereits seine Bogensehne, um die bemitleidenswerte Kreatur zu töten, wie man es mit einem kranken Lamm getan hätte. Doch da schoss jemandzwischen den Kriegern hervor. Es war die Hexe Enkhtuya, und zum Erstaunen aller hob sie das Kind hoch und setzte es vorn auf ihr Pferd, um dann selbst wieder aufzusteigen. Sie fürchteten schon, sie werde ihre Schlangen an das aschgraue Fleisch des Kindes halten, doch das tat sie nicht. Die Männer wechselten Blicke, die zu besagen schienen, dass die Hexe vielleicht ja doch etwas Güte in ihrem ausgetrockneten bisschen Herz besaß. Dann ritten sie zurück zum Lager.
Enkhtuya spielte mit dem Kind und schenkte ihm all ihre Aufmerksamkeit. Mit Hilfe ihres ausgeprägten Wissens über Kräuter und Arzneien hegte und pflegte sie es, und binnen kurzem heilten seine Wunden. Sie rasierte ihm den Kopf und tätowierte ihn mit dem Bild von zwei ineinandergewundenen Schlangen in mitternachtsblauer Tinte. Das Kind konnte es zwar nicht sehen, schien jedoch sehr stolz zu sein auf seine neue Zierde.
Natürlich konnte sie es nicht heilen. Sein Kopf war eine zu große und schwere Bürde für die schmalen, fliehenden Schultern; manchmal hing er schlaff herab, wenn das Kind müde war, und sein Bauch war immer geschwollen. Es sprach nie, und eine Seite seines Gesichtes blieb völlig verzerrt, als sei sie von innen kollabiert. Mit der anderen Gesichtshälfte aber lachte es, wenn Enkhtuya mit ihm scherzte und spielte. Es war ein seltsames, schluckaufartiges Lachen.
Eines Morgens ging Orestes zum stillen Ufer der Theiß hinunter, ein sanfter, grauer Nieselregen fiel, obgleich der Tag heiter zu werden versprach. Ein wenig flussabwärts sah er im Schilf Enkhtuya und das Kind. Er hielt inne und, wie es seine Art war, beobachtete sie still.
Sie badete das Kind im warmen Flachwasser, und zugleich alberte sie mit ihm herum. Das Kind lachte. Es liebte es zu spielen. Sie watete in den Fluss, zuerst bis zu ihren Knöcheln,dann bis zu ihren Knien, und schubste das Kind ein wenig weiter hinein. Das Kind spürte, dass das Wasser um es herum tiefer wurde, aber Enkhtuya lächelte und gab ermutigende Laute von sich, und das Kind lachte wieder vertrauensvoll.
Orestes wollte umkehren und zurück zum Lager gehen. Doch etwas stimmte nicht. Etwas geschah hier, das ihm nicht gefiel, obwohl es ihn nichts anging. Er blieb und beobachtete weiter. Er konnte sich nicht abwenden.
Die Hexe Enkhtuya nahm die Hände des Kindes in ihre eignen langen, dürren Hände und zog es aus dem Wasser. Sie war viel stärker, als ihr fleischloser Körperbau es vermuten ließ. Das Kind schrie auf vor Freude und strampelte mit den Füßen. Enkhtuya watete tiefer hinein, das Flusswasser reichte ihr jetzt bis zu den Oberschenkeln. Sie fing an, das Kind über dem Wasser vor und zurück schwingen zu lassen, in immer weiteren Kreisen. Orestes senkte den Blick, als schäme er sich, und hob ihn wieder. Das Kind schrie und strampelte. Enkhtuya beschrieb mit ihm einen letzten großen Bogen. Und dann ließ sie es los.
Das Kind flog rückwärts fort, und man hörte ein lautes Platschen, als es weit draußen in der Mitte des Flusses ins Wasser plumpste. Sein übergroßer Kopf tanzte zwischen den kleinen Wellen, das Lachen in der Kehle war erstickt.
Orestes konnte sich nicht rühren.
Das Kind wurde von der rasanten Strömung in der Mitte des Flusses davongetragen, es schrie verzweifelt, die Arme ausgestreckt, immer wieder auf- und abtauchend. Es war kurz davor zu ertrinken, und Orestes sah mit ohnmächtigem Entsetzen zu. Er musste an die hysterische Abneigung von Kleiner Vogel dieser Frau, dieser Kreatur gegenüber denken, grauenhafte Vorahnungen kamen hoch.
Auch Enkhtuya beobachtete das Kind und lachte, als siesah, wie es in der Strömung fortgerissen wurde. Sie stand aufrecht da, das Gesicht zur aufgehenden Sonne erhoben, und hielt sich die dunklen Hände vor die Brust und den Hals. Sanft strich sie sich über die Kehle und das ausgemergelte Gesicht, als sie das Kind vor ihren Augen ertrinken sah, mit diesen unheimlichen, blassblauen Augen, die entzückt und feucht vor Freude waren. Das Kind war verschwunden. Das Opfer für den Flussgott war entrichtet. Die Hexe hatte es
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