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Der schwarze Krieger

Der schwarze Krieger

Titel: Der schwarze Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Napier
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diesem Hang, und meine Familie, wenn man sie denn so bezeichnen wollte, waren die Beamten, Sekretäre und Kämmerer am kaiserlichen Hof.
    Dank meiner Verschwiegenheit und Zurückhaltung war ich Galla Placidia zu dieser Zeit so nah wie kein anderer Bürgerlicher. Zweifellos war dies ein großes Privileg, wenn auch nicht immer die reine Freude. Oft war ich genötigt, nachts auf meiner rechten Seite zu schlafen, meiner weniger bevorzugten Seite, weil meine linke Hinterbacke von ihren Schlägen zu sehr schmerzte und brannte. Dennoch stimmten alle darin überein, dass die Kaiserin ihr Personal mittlerweile weitaus weniger schlug als früher.
    Sie war nun eine alte Frau, die auf die sechzig zuging. Obwohl sie versuchte, ihr königliches Auftreten beizubehalten, und sich stets aufrecht hielt, konnte sie nicht verbergen, dass ihr Rücken sich immer mehr krümmte, als habe sie ein enormes Gewicht auf ihren schmalen Schultern zu tragen. Ihre Haut war noch immer sehr blass und rein, seit sechs Jahrzehnten von keinem Sonnenstrahl berührt, doch um ihre kalten grünen Augen herum hatten sich viele feine Linien gebildet, und ihre dünnen, harten Lippen waren schmaler denn je. Es war lange her, seit ein Ehemann dasBett mit ihr geteilt hatte, und die Mutterschaft hatte sie als eine Enttäuschung erlebt. Welche Mutterbrust könnte vor Stolz schwellen beim Anblick einer solchen Tochter, der man lächerlicherweise den Namen Honoria gegeben hatte, oder eines Sohnes wie Kaiser Valentinian   III.? Ein Sohn, der bei mehr als einer Gelegenheit, wie man sich zuraunte, seine Mutter zu vergiften versucht und sie hernach tagelang in ihrem Gemach würgend und vor Schmerzen stöhnend sich selbst überlassen hatte. Sie sprachen nie miteinander, außer um zu streiten.
    Valentinian, geboren im Juli 419, hatte aber weder Frau noch Kind. Er stand kurz vor seinem achtundzwanzigsten Geburtstag, war sehr dünn, seine Muskeln an Armen und Beinen waren schwächlich, dafür besaß er einen vorstehenden kleinen Bauch wie ein alter Mann. Sein Gesicht war faltenlos und knabenhaft, rundlich und großäugig. Wenn er aufgeregt war, sabberte er leicht. Seine Erscheinung, die dem eines versoffenen, zurückgebliebenen Jungen glich, täuschte jedoch. Er war nämlich außergewöhnlich gerissen, grausam und skrupellos. Noch finsterer waren die Gerüchte, die sich um seine Begeisterung für Hexerei und schwarze Magie rankten und darum, welche Ungeheuer dadurch erschaffen worden seien, die tief in den Kellergemächern des Palastes ausschließlich seinem privaten Vergnügen vorbehalten wären   …
    Jetzt zog er seine rechte Hand eilig aus seinem prächtigen Gewand heraus und sprang mit einem Schrei der Empörung auf. Der goldene Teller mit den Trüffeln flog von seinem Schoß und prallte scheppernd auf den Marmorboden wie eine fallengelassene Zimbel.
    «Mutter!», schrie er. «Wie viele Male habe ich dir schon gesagt   …»
    Sie ignorierte ihn und wies mich an, die Papierrolle aufeinem großen Eichentisch auszubreiten. Ich gehorchte, und es kam eine wunderschöne Karte unseres geliebten Imperiums zum Vorschein, koloriert in einem prachtvollen Spektrum bunter Tusche auf kostbarem elfenbeinfarbenem Leinenpapier.
    Galla setzte kühl ihren Zeigefinger auf einen Fleck irgendwo jenseits der Grenzen in Transpannonien. Dann führte sie ihn südwärts über die Donau und hinein in das Herz Illyricums und Moesias.
    «Sollte die Armee eines Feindes hier angreifen, an dieser Stelle», sagte sie, «zwischen Sirmium und Viminacium, sag mir, in wessen Verantwortungsbereich würde das fallen?»
    «Eines Feindes?», stammelte Valentinian. «Was für ein Feind?»
    Wieder ignorierte seine Mutter ihn. «Wessen Territorium ist das? Deines oder das von Kaiser Theodosius?»
    «Ich, ich   …», stotterte der Kaiser und starrte sie mit offenem Mund an. Zu meiner Beschämung sah ich seine rechte Hand zwischen den Falten seines langen Gewandes umherkriechen, wie bei einem Jungen, der sich in einem Moment der Angst trostsuchend selbst umklammert. Ich wandte mein Gesicht ab. Gottes bestellter Vizekönig auf Erden, der Herr der westlichen Christenheit.
    «Hier!», rief sie eisig, mit dem Finger auf die Karte klopfend.
    Unsicher, mit nervösen Augen schaute Valentinian nach unten auf die Stelle, auf die sie deutete,
    «Sirmium gehört, gehört   …», stammelte er. Er konnte nicht klar denken. Sein Verstand kehrte immer wieder zu seinen Trüffeln zurück. Wo waren sie hingekommen? Es fühlte

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