Der schwarze Krieger
geblümter Seide zusammengehalten. Und wie Frauen trug er ein Band mit kleinen Tierschädeln daran um den Hals, außerdem Armreife und -bänder . Beim Sprechen wackelte er mit dem Kopf von links nach rechts und machte sich damit über sich selbst wie über sein Gegenüber lustig. Seine Kleidung war bunt und zerlumpt. Das zerrissene Hemd aus Ziegenhaut, nachlässig zusammengebunden, verzierten vorn und hinten grobgezeichnete Strichmännchen.
Wenn er seinen Umhang abwarf und zu tanzen begann, drehte er sich auf der Stelle. Seine Nasenlöcher atmeten den süßen Hanfrauch, und seine Augen rollten unter schweren Lidern. Dann begannen die Strichmännchen umherzuwirbeln und ineinander zu verschwimmen, als wären sie alle eins. Wie auf dem Schicksalsrad stiegen sie auf, um gleich darauf wieder abzusteigen – allesamt nicht mehr als ein kurzes Aufblitzen in der Ewigkeit.
Nun wandte er sich an den König. Attila saß mit einer Handvoll seiner Auserwählten zusammen am Lagerfeuer und aß. Chanat und Orestes saßen nah bei ihm, ebenso der junge Yesukai und der listige Geukchu.
Kleiner Vogel hatte sich unaufgefordert zu den Männern gesetzt. Süßlich lächelnd blickte er den König an, die Hände aufeinandergelegt wie ein betender Christ.
«Großer Tanjou», begann er, «was für ein Aufstieg ist dir gelungen in der Welt der Träume, wo es noch keine sieben Tage her ist, dass man dich nicht einmal ins Lager gelassen hätte, um König Rugas Nachttopf auszulecken!»
Attila beäugte den seltsamen Gast über die Keule hinweg, an der er gerade kaute. «Sei willkommen, Kleiner Vogel», brummte er.
«Mein Herr!» Yesukai wollte protestieren.
«Heilig und unberührbar magst du ja sein, Kleiner», knurrte Chanat und blickte den kleinen Schamanen unter seinen schwarzen Augenbrauen durchdringend an. «Doch wenn du es wagst …»
«Sieh an!», quiekte Kleiner Vogel und schaute Chanat mit weit aufgerissenen Augen an. «Der alte Knochensack ist wieder unter uns und spricht sogar. Ich dachte, du wärst längst unter der Erde, altes Haus.»
Chanat wollte ihn bei seinem Haarknoten packen undhinausschleifen, egal, ob er nun ein Unberührbarer war oder nicht, doch Attila hielt ihn zurück. «Worte, nichts als Worte», sagte er.
Kleiner Vogel wandte sich spöttisch von Chanat ab und setzte dann rasch wieder sein süßliches Lächeln auf, als er sich Attila zuwandte. Seine Stimme war ein lächerlicher Singsang.
«Ein Vertriebener und Verbannter warst du, mein Herr Witwenmacher, ein räudiger Hund unter den Menschen, mit den drei schamvollen Narben auf deiner Verräterstirn. Wie rasch du in der Welt der Träume vorangekommen bist! Doch man kann ebenso schnell fallen, wie man aufgestiegen ist, denn der Wille der launischen und eigensinnigen Götter ist unergründlich, und Eroberungen und Triumphe sind in dieser Welt ebenso langlebig wie Jungfräulichkeit! Obgleich dich, Großer Tanjou, o mein Attila, kleiner Prinz von allem und nichts, obgleich dich die Götter ohne Zweifel besonders begünstigen werden und du für immer leben und die Welt erobern wirst! Kein Zweifel.»
Attila zeigte noch immer keine Reaktion.
Kleiner Vogel seufzte. Er saß mit überkreuzten Beinen im Staub und warf den Kopf ärgerlich von der einen Seite auf die andere. Dann sah er auf und sagte mit fast normaler Stimme: «Nun, Großer Tanjou, wo bist du gewesen? Was hast du getan?»
Attila ließ den Knochen sinken und wischte sich den Mund ab. «Überall», sagte er. «Und alles.»
Diese Antwort gefiel Kleiner Vogel. Er lächelte. «Warum kamst du nicht früher zurück?»
«Das weißt du. Das Gesetz des Stammes war gegen mich.»
«Ein Herr wie Ihr», warf Geukchu vorsichtig ein, «muss das Gesetz nicht fürchten.»
«Versuche nicht, mir zu schmeicheln», sagte Attila, ohne ihn dabei anzusehen. Unverwandt hatte er den Blick auf Kleiner Vogel gerichtet. «Ich stehe nicht über den Gesetzen. Und auch nicht über den Gesetzgebern.»
Eine Weile herrschte Schweigen. Kleiner Vogel verstand, was er hörte.
«Außerdem», schob Attila hinterher, «hatte ich noch andere Dinge zu tun.»
«Was für Dinge?» Kleiner Vogel fragte nun mit ruhigerer Stimme.
Auch Attilas Stimme war ganz ruhig. «Was für Dinge ich nicht getan habe?»
Die Scheite knackten in der Nacht. Die Männer saßen erwartungsvoll da, beinahe furchtsam, ihre Augen nur auf ihn gerichtet. Einzig Orestes sah zu Boden, während sein König seltsame, alte Worte murmelte:
Ich war ein König und doch
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