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Der schwarze Krieger

Der schwarze Krieger

Titel: Der schwarze Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Napier
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Eifersucht oder Schlimmeres zu verwandeln drohte. Doch stattdessen   …» Chanat riss noch ein paar Grashalme aus.
    «Eines Tages, es war Hochsommer und Jagdsaison, ging er in den Wald. Die Männer waren hoch oben im Norden, um Rehe und Wildschweine zu jagen. Im Wald traf er, so erzählt man sich, einen Raben. Der Rabe saß auf einem niedrigen Ast, er begrüßte Kleiner Vogel als seinen Bruder. Dieser fragte, was es Neues gäbe. Der Rabe sagte: ‹Die Vergangenheit beliebt zu ruhn, doch bleibt noch viel zu tun.› Kleiner Vogel fragte ihn, was das heißen würde. Und der Rabe entgegnete, dass er, Kleiner Vogel, seine Geliebte mit seiner eigenen rechten Hand töten werde. Kleiner Vogel erschrak und suchte nach Worten, bevor er wütend loszuschreien begann: ‹Niemals, niemals,
niemals !›
Eher würde man sein gesamtes Volk untergehen oder die Sonne am Himmel erlöschen sehen, schwor er. Niemals würde er zulassen, dass seiner Frau ein Leid geschähe, sie sei sein Ein und Alles und die Schönste von den heiligen Bergen bis hin zum Meer im Westen. Er verfluchte den Raben als Scheusal, zu ihm gesandt, um ihn zu quälen. Der Rabe sah ihn mit seinen leuchtenden schwarzen Augen an und wiederholte nur, Kleiner Vogel werde sie töten. Bei diesen Worten geriet Kleiner Vogel vollkommen außer sich. Als hätte ein Walddämon von ihm Besitz ergriffen, zog er sein Messer und schlitzte dem Raben mit einem einzigen Streich die Kehle auf. Das Tier fiel wie ein Stein zu Boden.Kleiner Vogel wirbelte herum, warf den Kopf in den Nacken und jagte einen herausfordernden Schrei gen Himmel.
    Als er sich ein wenig beruhigt hatte, drehte er sich um, doch da war kein Rabe. Stattdessen lag seine Liebste auf dem Waldboden, mit durchgeschnittener Kehle.»
    Die entsetzliche Geschichte schien in ihrer Grausamkeit förmlich greifbar.
    Chanat hob den Kopf. «Dreimal versuchte Kleiner Vogel danach, sich das Leben zu nehmen. Dreimal misslang es – irgendetwas beschützte ihn. Er hörte auf zu essen, ohne große Wirkung. Achte einmal darauf: Noch immer isst er kaum etwas. Und seitdem war Kleiner Vogel verrückter oder weiser als irgendein Mensch auf Erden. Vielleicht auch beides zugleich. Alles, was ihm kostbar war, hatte der Himmel ihm genommen, doch im Gegenzug war ihm die Gabe zu sehen geschenkt worden.»
    Nach einer Weile sagte Chanat leise: «Nicht um alles in der Welt hätte ich das Zweite Gesicht haben mögen, das Kleiner Vogel an jenem Tag geschenkt wurde. Ich bin froh, so unwissend wie ein Kind zu sein und dass die Wege der Welt und der Götter mir verborgen bleiben.»
    Er blies die letzten Grassamen aus der Handfläche und stand langsam auf. Als er schon im Gehen war, drehte er sich noch einmal um und sagte ruhig zu Orestes: «Begegne ihm mit Respekt. Er hat eine weite Reise hinter sich.»

5.
Die Plünderung von Tanais
    Als Orestes am Nachmittag des folgenden Tages durch das Lager ging, hörte er plötzlich grässliche Schreie aus dem königlichen Zelt.
    Auf der Stelle zückte er sein Schwert und stürmte hinein. Zwei der jüngeren Ehefrauen des Königs standen sich gegenüber und keiften sich an, während Attila auf einem Hocker daneben saß. Sie packten sich bei den Haaren und lagen gleich darauf am Boden. Noch lauter als ihre Schreie war jedoch das brüllende Gelächter Attilas, der ihnen mit verschränkten Armen zusah.
    Dann erblickte er Orestes und kam, immer noch von einem Ohr zum anderen grinsend, auf ihn zu.
    «Es gibt einiges zu tun», sagte er und sah kurz über seine Schulter zurück. «Außerdem ist ein Kampf zwischen zwei Weibern nicht endlos spannend.»
    Draußen schwang er sich auf seinen Lieblingsschecken Chagelghan und rief Geukchu zu sich.
    «Es wird Zeit, dass wir einen richtigen königlichen Palast errichten.»
    Geukchu verneigte sich tief. «Eine Ehre, die ich nicht zu erträumen wagte, Herr. Du sollst das schönste, glänzend weiße Zelt von hier bis an den Eisernen Fluss haben!»
    «Ich werde den schönsten Königspalast zwischen hier und dem Baikalsee mein Eigen nennen», schwärmte Attila. «Erbaut aus geschnitztem, poliertem Holz, mit genügend Räumen für meine vielen Frauen und Dienerinnen. Und mein Thron soll darin fest errichtet sein.»
    «Aus Holz?», wiederholte Geukchu.
    «Aus Holz.»
    «Herr», sagte Geukchu, «die nächsten Waldgebiete liegen zwei Tagesritte nördlich von unserem geliebten Grasland, und die Menschen in den Wäldern sind nicht unsere Brüder.»
    «Dann nimm Bogen und Schwert und die

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