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Der schwarze Krieger

Der schwarze Krieger

Titel: Der schwarze Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Napier
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Knecht,
    Ich war ein Krieger und doch schlecht,
    Ein Tropfen Tau, ein Adler oben in den Lüften,
    Hielt tausend Häupter in des Herzens Klüften.
    «Dies sind die Worte eines Schamanen», flüsterte Kleiner Vogel.
    Attila nickte. «Du warst neun Jahre in der Wildnis und oben auf dem heiligen Altai, Kleiner Vogel. Ich dagegen dreißig. Das ist eine lange Zeit.»
    Kleiner Vogel rutschte unruhig hin und her.
    «Sieh mir in die Augen.»
    Kleiner Vogel blickte zur Seite.
    «Sieh mir in die Augen!»
    Kleiner Vogel gehorchte, und was er da sah im Feuerschein,missfiel ihm. Diese gelben, löwenhaften Augen. Ein Blick, so blank und gnadenlos wie die Sonne. Er hatte solche Augen schon gesehen. Doch nicht im Gesicht eines Menschen.
    Kleiner Vogel starrte ihn an, dann, ohne ein weiteres Wort, sprang er gelenkig wie ein junger Akrobat auf und verschwand hastig zwischen den dunklen Silhouetten der Zelte.
    Auch die anderen Männer fühlten eine namenlose Bedrohung und verneigten sich. Mit gesenkten Köpfen zogen sie sich gleich zurück. Alle gingen, nur Chanat blieb beim Feuer sitzen, und der treue Orestes lag nun mit geschlossenen Augen im Gras.
    Attila blickte lange ins Feuer, die Flammen tanzten in seinen Augen.
    Nach einer Weile rührte sich Orestes. Zu Chanat gewandt sagte er: «Freund, erzähle mir von Kleiner Vogel.»
    Chanat überlegte lange, bevor er begann. «Als ich die Geschichte von Kleiner Vogel hörte, war ich noch ein junger Mann. Ich habe sie nie vergessen.» Er riss ein paar Grashalme ab, streifte die Rispen ab und betrachtete sie in seiner Handfläche. Dann beugte er sich vor und blies sie fort. «Als er noch ein junger Mann war   …» Er sah zu, wie die Grassamen ins Feuer fielen und dort verbrannten.
    Attila saß im Schneidersitz auf der anderen Seite des Feuers, die Handflächen auf den Knien nach oben gerichtet. Er starrte in die Glut, meditativ und schweigsam wie ein steinerner Gott.
    «Er war schon als junger Mann verrückt», sagte Chanat, «aber nicht so wie jetzt. Er war ein überdrehter kleiner Junge voller Visionen und Träume. Dann lief ihm ein Mädchen über den Weg, bei einem
Khurim
, einem Festbankett. Sie war wunderschön. Über ihn machte sie sich nur lustig.» Chanatlächelte. «Wie grausam und herablassend sie zu ihm war! Natürlich wollte sie herausfinden, ob er es ernst meinte. Wie alle Weiber fühlte sie sich überaus geschmeichelt durch seine Bewunderung. Doch sie verletzte ihn mit ihren Worten, wie es die Frauen unseres Volkes gern tun. Ständig setzte sie ihm zu, beschimpfte ihn gnadenlos: ‹Du Winzling!›, rief sie ihm mit ihrer hohen Mädchenstimme zu, sodass alle im Lager es hörten und lachten. ‹Ich verachte dich und den Boden, auf dem du gehst! Du hast Hände wie ein Mädchen, du erschrickst beim Blöken eines Lämmchens, schon ein einziger Regentropfen auf deiner Nase versetzt dich in Furcht. Oh, wie sehr ich dich verachte!› Sie erfand immer neue Schmähungen, wie Frauen es tun, wenn sie erregt sind.»
    Orestes lachte still in sich hinein. Seine Augen waren jetzt offen und wanderten zwischen den Sternen hin und her.
    «Doch Kleiner Vogel hatte ein Talent für Schmeicheleien, und das war stärker. Blumige Worte, Lieder und Gedichte flossen ihm nur so von den Lippen wie das Wasser im Frühling von den Tavan Bogd, den Fünf Königen. Strahlende, funkelnde Worte, die ein junges Mädchen dahinschmelzen lassen. Natürlich klappte das auch bei ihr. Kein Zweifel, Kleiner Vogel war eine völlige Niete beim Ballspiel oder beim Bogenschießen. Tsengel-Düü, so ihr Name, was Kleine Schwester der Freude bedeutet, rief immer wieder: ‹Oh, was für eine Schande für euch Männer du doch bist, Kleiner Vogel! Welche Frau wäre wohl so verrückt, dich zum Mann zu nehmen! Sie müsste wohl blind und taub sein und älter als hundert Jahre, dein liebes Weib, das jetzt auf dich wartet, du wandelnde Katastrophe von einem Mann!›
    Doch in der Nacht beim Feuerschein himmelte er sie an und machte ihr Komplimente. Er tat das mit einem Strahlen in den Augen und einer unverschämten Fröhlichkeit, diesich gänzlich von der sklavischen Ergebenheit unterschied, welche alle Frauen abstoßend finden. Er schmeichelte ihr und bezirzte sie, als wüsste er genau, dass er sie schließlich doch erobern könnte. Und so kam es auch. Sie heirateten, und bald darauf wurde ihr Bauch kugelrund. Kleiner Vogel war der glücklichste Mensch auf Erden. Sein Glück schien so vollkommen, dass es sich jeden Augenblick in

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