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Der schwarze Krieger

Der schwarze Krieger

Titel: Der schwarze Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Napier
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misstrauischen Sklaven und seinen seltsamen Bund von Ehefrauen. Die Götter mussten ihn beschützt haben, sonst hätte er nicht so lange unter diesen Bedingungen überleben können.
    Es gibt viele ähnliche Geschichten bei anderen Völkern, von Königen, die in die Wildnis vertrieben wurden, um wie Tiere zu leben und in der Verbannung den Verstand zu verlieren: der jüdische König Nebukadnezar, der sich abwandte und wie ein Ochse Gras fraß und dessen Körper vom Himmelstau ganz nass wurde. Schließlich waren seine Haare so lang wie Adlerfedern und seine Nägel gebogen wie Vogelklauen.Oder der einäugige König Goll der Kelten, der nicht aus Feigheit vom Schlachtfeld floh, sondern im Würgegriff des Blutrausches litt. Ich, Priscus von Panium, hörte den Auszug eines Jagdlieds von König Goll, den vor langer Zeit ein braunäugiger Keltenjunge sang:
    Nun wandr’ ich durch die Wälder immer,
    Wenn Sommer färbt die Beeren,
    Und in herbstlich gelbem Schimmer
    gefleckte Bäume sich stets mehren.
    Wenn an winterlichen Stränden
    die Kormorane zitternd hocken.
    Ich wandre zu und winke mit den Händen,
    Ich sing und schüttle meine Locken.
    Der graue Wolf, er kennt mich wohl, am Ohr
    zieh ich das Hirschkalb aus dem Wald hervor;
    Die Hasen, immer mut’ger , laufen um mich her.
    Sie werden nicht verstummen, die Blätter rauschen,
    ringsum die Buchenblätter sinken schwer.
    Attila war keiner dieser melancholischen Könige aus fernen Zeiten. Er war für sein Volk ein lebendiger Mythos aus Fleisch und Blut, der aus der Wildnis zurückkehrte, um wieder bei seinen Leuten zu leben, und sie bewunderten ihn sehr dafür.
    Eroberer, die sich die Welt untertan machen wollen, lassen sich in ihrer Jugend kaum bändigen und sind auch im Alter noch ungeduldig wie Halbwüchsige. Alexander der Große eroberte die Welt mit neunundzwanzig Jahren. Hannibal war gerade mal dreißig, als er die berühmte römische Armee vernichtend schlug. Und Caesar grämte sich unendlich, dass es ihm nicht gelungen war, den gesamten Erdkreis zu bezwingen, bevor er ebenjenes Alter erreicht hatte.
    Attila besaß denselben Eroberungswillen. Doch er war bereits vierzig, bevor er überhaupt an die Macht kam. Einige behaupten, er hätte seinen eisernen Willen bereits früher zeigen und Ruga die Krone abnehmen können, um sie sich selbst auf den breiten Schädel zu setzen. Ein Blick aus seinen löwengleichen Augen, und niemand hätte gewagt, sich ihm zu widersetzen. Attila war jedoch klüger: Er wusste, dass Geduld die beste Waffe des Nomaden ist. Er beobachtete und wartete. Und als er endlich zurück zu seinen Leuten ritt, schien er nicht nur das Recht auf seiner Seite zu haben, das ihm die lange Zeit in der Wildnis zugestand. Nein, seine Rückkehr war umso außergewöhnlicher, da sie beinahe übernatürlich war. Alle Krieger seines Stammes hielten zu ihm, und zwar weit mehr, als sie je zu Ruga oder sogar dem alten Krieger Uldin gehalten hatten. Attila war der Gefährte der Berge, der Freund der Wüste, der Bruder der Ödnis. Ihn beseelte derselbe Wind, der vom Himmel blies und die Träume des Schamanen erhellte. Stand er an der Spitze ihrer Armeen, so würde sich ihnen niemand widersetzen. Davon waren sie überzeugt, und er wusste es: «Eine Armee, die an etwas glaubt – egal, was es ist   –, wird immer eine Armee besiegen, die an nichts glaubt.»
    Und Attilas Armee glaubte an ihn.

4.
Kleiner Vogel
    Chanat sollte recht behalten. Irgendwie musste er erfahren haben, was sich im Lager der Hunnen ereignet hatte, dass der verlorene Sohn zurückgekehrt war und seinen eigenen Onkel mit bloßen Händen und einer rostigen Pfeilspitze ermordet hatte. Vielleicht hatte es ihm der Wind eingeflüstert? Jedenfalls war Kleiner Vogel eines Tages wieder da.
    Niemand wusste, ob er älter geworden war und wie viele Sommer er nun schon hinter sich hatte. Graue Fäden durchzogen sein rabenschwarzes Haar, doch sein Gesicht besaß noch immer die seltsame strahlende Unschuld eines Kindes. Dabei war er sicher schon vierzig, wenn nicht gar sechzig. Die Haut spannte sich dünn über seine breiten asiatischen Wangenknochen, seine Wangen waren erhitzt und rotfleckig. Die Augen schnellten unruhig und listig wie bei einem Nerz hin und her. Sein Gesicht zeigte nicht einmal den Ansatz eines Bartes. Seine selbst für einen Hunnen äußerst glatten Wangen wirkten wie die eines unschuldigen Jungen. Sein Haar, nach Landesart zu einem Knoten hochgebunden, wurde wie bei einer Frau von einem Band aus

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