Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe
Vermutung.«
»Mein Bruder heißt Yato Inda. Yato heißt ›gut‹ und ist der Navajosprache entnommen, Inda heißt ›Mann‹ und gehört der Apatschensprache an. Die Navajos sind auch Apatschen, und so vermute ich, daß die rote Mutter meines halbfarbigen Bruders eine Apatschin gewesen ist.«
Dem Mischling war diese Frage sichtlich unangenehm; er versuchte, um die Antwort herumzukommen, indem er in abweisendem Tone erwiderte:
»Ich habe noch nie gehört, daß der große Winnetou neugierig sei. Wie kommt es, daß er sich heut um eine unbekannte Indianer-Squaw bekümmert?«
»Weil sie deine Mutter ist,« erklang es fest und scharf aus dem Munde des Häuptlings. »Und weil, wenn ich mich hier befinde, ich wissen will, was für ein Mann für die Sicherheit dieses Ortes zu sorgen hat. Welchem Stamme gehörte deine Mutter an?«
Bei diesem Tone und bei dem großen, offenen Auge, mit dem Winnetou ihn anleuchtete, konnte der Scout nicht schweigen. Er antwortete:
»Zum Stamme der Pinal-Apatschen.«
»Und von ihr hast du das Reden gelernt?«
»Natürlich, ja.«
»Ich kenne alle Sprachen und Dialekte der Apatschen. Sie sprechen viele Laute mit Zunge und Kehle zugleich aus, zu denen du nur die Zunge nimmst, genau so, wie die Komantschen es machen.«
Da fuhr der Mestize auf:
»Willst du damit etwa sagen, daß ich der Sohn einer Komantschin sei?«
»Und wenn ich dies behauptete?«
»Eine Behauptung ist noch kein Beweis. Und wenn meine Mutter eine Komantschin gewesen wäre, so folgt daraus noch lange nicht, daß ich es mit den Komantschen halte.«
»Allerdings nicht; aber kennst du Tokvi-Kava, den ›schwarzen Mustang‹ welcher der grimmigste Häuptling der Komantschen ist?«
»Ich habe nur von ihm gehört.«
»Er hatte eine Tochter, welche die Squaw eines Bleichgesichtes wurde; sie starben beide und hinterließen einen halbblütigen Knaben, welcher von dem ›schwarzen Mustang‹ in größter Feindschaft gegen die Weißen erzogen wurde. Dieser Knabe wurde einst von einem Gespielen mit dem Messer in das rechte Ohr geschnitten. Wie kommt es, daß du wie ein Komantsche sprichst und einen Schlitz in demselben Ohre hast?«
Da sprang der Scout in die Höhe und rief zornig aus:
»Diesen Schnitt verdanke ich grade der Feindschaft der Komantschen; ich habe ihn im Handgemenge mit ihnen bekommen. Wenn du daran zweifelst, fordere ich dich auf, mit mir zu kämpfen.«
»Pshaw!«
Nur dieses eine Wort sagte Winnetou in unbeschreiblich nachlässigem Tone; dann wendete er sich ab und griff zu dem Ingwerbier, welches der Wirt soeben brachte.
Wie gewöhnlich auf so unliebsame Scenen, folgte eine tiefe Stille, ehe an den beiden Tischen das Gespräch wieder aufgenommen wurde. Nachher erkundigte sich der Engineer, ob Old Shatterhand und Winnetou die Absicht hätten, im Camp zu übernachten, und als er eine bejahende Antwort erhielt, bot er ihnen seine Wohnung an und unterstützte seine Gastlichkeit mit dem Hinweise:
»Den beiden vor euch gekommenen Gentlemen hat der Shopman ihr Lager bei sich angewiesen; da gibt es keine Plätze mehr. In der Nässe draußen werdet ihr doch nicht schlafen. Und hier im Schuppen, bei den schnarchenden, unreinlichen Chinamännern? Keineswegs! Wir haben uns Chinesen aus dem Westen verschreiben müssen, weil wir keine weißen Arbeiter finden konnten und weil sie billiger und auch weit leichter in Zucht zu halten sind als das Gesindel, auf welches wir sonst angewiesen gewesen wären. Sagt, Sir, ob Ihr meine Einladung annehmen wollt!«
Old Shatterhand warf einen fragenden Blick auf Winnetou, sah, daß dieser leise bejahend den Kopf neigte, und antwortete:
»Ja, wir nehmen sie an, vorausgesetzt, daß auch unsre Pferde eine gute und sichere Unterkunft hier finden können.«
»Die finden sie. Wir haben die Pferde der beiden andern Gentlemen auch schon in Verwahrung genommen. Wollt ihr meine Wohnung vielleicht einmal ansehen?«
»Ja, zeigt sie uns! Es ist immer gut, den Ort, an welchem man die Nacht zubringt, vorher zu kennen.«
Winnetou und Old Shatterhand nahmen ihre Waffen und folgten dem Engineer nach einem nicht sehr entfernt liegenden, niedrigen Gebäude, dessen Wände aus Stein gemauert waren, weil es nicht Interimszwecken dienen, sondern später die Wohnung der Brückenwache bilden sollte. Der Beamte öffnete und brannte, als sie eingetreten waren, ein Licht an. Es gab da einen Herd, einen Tisch, einige Stühle und außer verschiedenen Geräten und Geschirr eine breite Lagerstätte, auf welcher
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