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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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wird es schwächer? Weil wir ermatten? Wir verlieren es jeden Abend. Wenn wir schlafen, ist die Welt fort. Wo sind wir dann? Kommt die Welt immer wieder, Rudolf?»
      Wir stehen am Rande des Gartens und sehen durch das Gittertor in die Landschaf draußen. Der frühe Abend liegt auf den reifenden Feldern, die sich zu beiden Seiten der Kastanienallee bis zum Walde hinabziehen.
      «Sie kommt immer wieder», sage ich und füge vorsichtig hinzu: «Immer, Isabelle.»
      «Und wir? Wir auch?»
      Wir? denke ich. Wer weiß das? Jede Stunde gibt und nimmt und verändert. Aber ich sage es nicht. Ich will in kein Gespräch geraten, das plötzlich in einen Abgrund rutscht.
      Von draußen kommen die Anstaltsinsassen zurück, die auf den Äckern gearbeitet haben. Sie kommen zurück wie müde Bauern, und auf ihren Schultern liegt das erste Abendrot.
      «Wir auch», sage ich. «Immer, Isabelle. Nichts, was da ist, kann verlorengehen. Nie.»
      «Glaubst du das?»
      «Es bleibt uns doch nichts anderes übrig, als es zu glauben.»
      Sie dreht sich zu mir um. Sie ist außerordentlich schön an diesem frühen Abend mit dem ersten klaren Gold des Herbstes in der Luf.
      «Sind wir sonst verloren?» flüstert sie.
      Ich starre sie an. «Das weiß ich nicht», sage ich schließlich.
    Verloren – was kann das alles heißen! So vieles!
    «Sind wir sonst verloren, Rudolf?»
      Ich schweige unschlüssig. «Ja», sage ich dann. «Aber da erst beginnt das Leben, Isabelle.»
      «Welches?»
      «Unser eigenes. Da erst beginnt alles – der Mut, das große Mitleid, die Menschlichkeit, die Liebe und der tragische Regenbogen der Schönheit. Da, wo wir wissen, daß nichts bleibt.»
      Ich sehe in ihr vom untergehenden Licht bestrahltes Gesicht. Einen Augenblick steht die Zeit still.
      «Du und ich, wir bleiben auch nicht?» fragt sie.
      «Nein, wir bleiben auch nicht», erwidere ich und sehe an ihr vorbei in die Landschaf voll Blau und Rot und Ferne und Gold.
      «Auch nicht, wenn wir uns lieben?»
      «Auch nicht, wenn wir uns lieben», sage ich und füge zögernd und vorsichtig hinzu: «Ich glaube, deshalb liebt man sich. Sonst könnte man sich vielleicht nicht lieben. Lieben ist etwas weitergeben zu wollen, das man nicht halten kann.»
      «Was?»
      Ich hebe die Schultern. «Dafür gibt es viele Namen. Unser Selbst vielleicht, um es zu retten. Oder unser Herz. Sagen wir: Unser Herz. Oder unsere Sehnsucht. Unser Herz.»
      Die Leute von den Feldern sind herangekommen. Die Wärter öffnen die Tore. Plötzlich drängt sich seitlich von der Mauer, wo er versteckt hinter einem Baum gestanden haben muß, jemand rasch an uns vorbei, schiebt sich durch die Feldarbeiter und rennt hinaus. Einer der Wärter bemerkt ihn und läuf ziemlich gemächlich hinter ihm her; der zweite bleibt ruhig stehen und läßt die anderen Patienten weiter passieren. Dann schließt er das Tor ab. Unten sieht man den Ausbrecher laufen. Er ist viel schneller als der Wärter, der ihn verfolgt. «Glauben Sie, daß Ihr Kollege ihn in dem Tempo einholt?» frage ich den zweiten Wärter.
      «Er wird schon mit ihm zurückkommen.»
      «Es sieht nicht so aus.»
      Der Wärter hebt die Schultern. «Es ist Guido Timpe. Er versucht jeden Monat mindestens einmal auszubrechen. Läuf immer bis zum Restaurant Forsthaus. Trinkt dort ein paar Biere. Wir finden ihn jedesmal da. Er läuf nie weiter und nie irgendwoanders hin. Just für die zwei, drei Biere. Er trinkt immer Dunkles.»
      Er zwinkert mir zu. «Darum läuf mein Kollege nicht schneller. Er will ihn nur im Auge behalten, für den Fall eines Falles. Wir lassen Timpe immer soviel Zeit, daß er seine Biere verquetschen kann. Warum nicht? Nachher kommt er dann zurück wie ein Lamm.»
      Isabelle hat nicht zugehört. «Wohin will er?» fragt sie jetzt.
      «Er will Bier trinken», sage ich. «Weiter nichts. Wer auch so ein Ziel haben könnte!»
      Sie hört mich nicht. Sie sieht mich an. «Willst du auch weg?»
      Ich schüttle den Kopf.
      «Es gibt nichts, um wegzulaufen, Rudolf», sagt sie. «Und nichts, um anzukommen. Alle Türen sind dieselben. Und dahinter –»
      Sie stockt. «Was ist dahinter, Isabelle?» frage ich.
      «Nichts. Es sind nur Türen. Es sind immer nur Türen, und nichts ist dahinter.»
      Der Wärter schließt das Tor und zündet sich eine Pfeife an. Der würzige Geruch des billigen Knasters trif mich und zaubert ein Bild hervor: ein

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