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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Messe.»
      Isabelle! denke ich. Sie wußte einmal, daß Gott immer noch am Kreuze hing und daß nicht nur die Ungläubigen ihn marterten. Sie kannte und verachtete auch die satten Gläubigen, die aus seinem Leiden eine fette Sinekure machten. «Hat sie auch schon gebeichtet?» frage ich.
      «Das weiß ich nicht. Es ist möglich. Muß eigentlich jemand das, was er getan hat, während er geisteskrank war, beichten? Es wäre eine interessante Frage für mich unaufgeklärten Protestanten.»
      «Es kommt darauf an, was man unter Geisteskrankheiten ver
    steht», sage ich bitter und schaue zu, wie der Seeleninstallateur ein Glas Schloß Reinhardtshauser heruntergießt. «Wir haben da zweifellos verschiedene Auffassungen. Im übrigen: Wie kann man beichten, was man vergessen hat? Denn vergessen hat Fräulein Terhoven ja wohl manches plötzlich.»
      Wernicke schenkt sich und mir ein Glas ein. «Trinken wir den, bevor Hochwürden erscheint. Weihrauchduf mag heilig sein, aber er verdirbt die Blume eines solchen Weines.» Er nimmt einen Schluck, rollt die Augen und sagt: «Plötzlich vergessen? War es so plötzlich? Es kündigte sich doch schon länger an.»
      Er hat recht. Ich habe es auch schon früher gemerkt. Es waren manchmal Augenblicke da, wo Isabelle mich nicht zu erkennen schien. Ich erinnere mich an das letzte Mal und trinke wütend den Wein aus. Er schmeckt mir heute nicht.
      «Das ist wie ein unterirdisches Beben», erklärt der erfolgstrotzende Wernicke. «Ein Seebeben. Inseln, sogar Kontinente, die vorher da waren, verschwinden, und andere tauchen wieder auf.»
      «Und wie ist es mit einem zweiten Seebeben? Geht es dann umgekehrt?»
      «Es kann auch das vorkommen. Aber das sind dann fast immer andere Fälle; solche, die mit zunehmender Verblödung Hand in Hand gehen. Sie haben ja die Beispiele davon hier gesehen. Wünschen Sie das für Fräulein Terhoven?»
      «Ich wünsche ihr das Beste», sage ich.
      «Na, also!»
      Wernicke schenkt den Rest des Weines ein. Ich denke an die trostlosen Kranken, die in den Ecken herumstehen und -liegen, denen der Speichel aus dem Munde läuf und die sich beschmutzen. «Natürlich wünsche ich ihr, daß sie nie wieder krank wird», sage ich.
      «Es ist nicht anzunehmen. Wir hatten bei ihr einen der Fälle vor uns, die geheilt werden können, wenn die Ursachen beseitigt worden sind. Alles ging sehr gut. Mutter und Tochter haben das Gefühl, das manchmal durch den Tod in solchen Situationen entsteht: in einer fernen Weise betrogen worden zu sein, und so sind beide wie verwaist und dadurch enger zusammen als je vorher.»
      Ich starre Wernicke an. So poetisch habe ich ihn noch nie gehört. Er meint es auch nicht ganz ernst. «Sie haben heute mittag Gelegenheit, sich davon zu überzeugen», erklärt er. «Mutter und Tochter kommen zu Tisch.»
      Ich will weggehen; aber etwas zwingt mich, zu bleiben. Wenn der Mensch sich selbst quälen kann, versäumt er so leicht keine Gelegenheit dazu. Bodendiek erscheint und ist überraschend menschlich. Dann kommen Mutter und Tochter, und es beginnt ein plattes, zivilisiertes Gespräch. Die Mutter ist etwa fünfundvierzig Jahre alt, etwas voll, belanglos hübsch und angefüllt mit leichten, runden Phrasen, die sie mühelos verteilt. Sie weiß auf alles sofort eine Antwort, ohne nachzudenken.
      Ich betrachte Geneviève. Manchmal, ganz kurz, glaube ich in ihren Zügen wie eine Ertrinkende das geliebte, wilde und verstörte andere Gesicht aufauchen zu sehen; aber es verschwimmt gleich wieder im Plätschern des Gespräches über die moderne Anlage des Sanatoriums, beide Damen gebrauchen kein anderes Wort, die hübsche Aussicht, die alte Stadt, verschiedene Onkel und Tanten in Straßburg und in Holland, über die schwere Zeit, die Notwendigkeit, zu glauben, die Qualität der Lothringer Weine und das schöne Elsaß. Nicht ein Wort von dem, was mich einst so bestürzt und erregt hat. Es ist versunken, als wäre es nie dagewesen.
      Ich verabschiede mich bald. «Leben Sie wohl, Fräulein Terhoven», sage ich. «Wie ich höre, reisen Sie diese Woche.»
      Sie nickt. «Kommen Sie heute abend nicht noch einmal?» fragt Wernicke mich.
      «Ja, zur Abendandacht.»
      «Dann kommen Sie doch auf einen kleinen Trunk herüber zu mir. Nicht wahr, meine Damen?»
      «Gerne», erwidert Isabelles Mutter. «Wir gehen ohnehin zur Abendandacht.»
      Der Abend ist noch schlimmer als der Mittag. Das weiche Licht trügt.

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