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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Kopf durch die Tür.
      «Ich esse jetzt nicht, Schwester», sagt der Doktor. «Stellen Sie mir ein paar belegte Brote und eine Flasche Bier in mein Zimmer.»
      Er ist ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, dunkel, mit einem schmalen Gesicht, dicht zusammenstehenden Augen und großen, abstehenden Ohren. Er heißt Wernicke, Guido Wernicke,
    und haßt seinen Vornamen so, wie ich «Rolf» hasse.
    «Wie steht’s mit Fräulein Terhoven?» frage ich.
      «Terhoven? Ach so – nicht so besonders, leider. Haben Sie nichts bemerkt heute? Eine Änderung?»
      «Nein. Sie war so wie immer. Vielleicht etwas erregter; aber Sie sagten ja, das käme vom Gewitter.»
      «Wir werden sehen. Man kann nie viel voraussagen hier oben.»
      Bodendiek lacht. «Das sicher nicht. Hier nicht.»
      Ich sehe ihn an. Was für ein roher Christ, denke ich. Aber dann fällt mir ein, daß er ja berufsmäßiger Seelenpfleger ist; dabei geht immer etwas an Empfindung auf Kosten des Könnens verloren – ebenso wie bei Ärzten, Krankenschwestern und Grabsteinverkäufern.
      Ich höre, wie er sich mit Wernicke unterhält. Ich habe plötzlich keine Lust mehr zu essen und stehe auf und gehe ans Fenster. Hinter den bewegten schwarzen Wipfeln ist eine Wolkenwand mit fahlen Rändern emporgewachsen. Ich starre hinaus. Alles scheint auf einmal sehr fremd, und hinter dem vertrauten Gartenbild drängt ein anderes, wilderes schweigend hervor, das das alte wegstößt wie eine leere Hülse. Ich erinnere mich an Isabelles Schrei: «Wo ist mein erstes Gesicht? Mein Gesicht vor allen Spiegeln?» Ja, wo ist das allererste Gesicht? denke ich. Die Urlandschaf, bevor sie zur Landschaf unserer Sinne wurde, zu Park und Wald und Haus und Mensch – wo ist das Gesicht Bodendieks, bevor es Bodendiek wurde, wo das Wernickes, bevor es seinem Namen entsprach? Wissen wir noch etwas davon? Oder sind wir gefangen in einem Netz von Begriffen und Worten, von Logik und täuschender Vernunf, und dahinter stehen die einsam lodernden Urfeuer, zu denen wir keinen Zugang mehr haben, weil wir sie in Nützlichkeit und Wärme verwandelt haben, in Küchenfeuer und Heizung und Schwindel und Gewißheit und Bürgerlichkeit und Mauern und allenfalls in ein türkisches Bad schwitzender Philosophie und Wissenschaf? Wo sind sie? Stehen sie immer noch unfaßbar und rein und unzugänglich hinter Leben und Tod, bevor sie Leben und Tod für uns wurden, und sind vielleicht nur die, die jetzt in diesem Hause in ihren vergitterten Zimmern hocken und schleichen und starren und das Gewitter in ihrem Blut fühlen, ihnen nahe? Wo ist die Grenze, die Chaos von Ordnung scheidet, und wer kann sie überschreiten und zurückkommen, und wenn es ihm gelingt, wer weiß dann noch etwas davon? Löscht das eine nicht die Erinnerung an das andere aus? Wer ist der Gestörte, Gezeichnete, Verbannte, sind wir es mit unseren Grenzen, mit unserer Vernunf, unserem geordneten Weltbild, oder sind es die andern, durch die das Chaos rast und blitzt, und die dem Grenzenlosen preisgegeben sind wie Zimmer ohne Türen, ohne Decke, Räume mit drei Wanden, in die es hineinblitzt und stürmt und regnet, während wir andern stolz in unsern geschlossenen Zimmern mit Türen und vier Wänden umhergehen und glauben, wir seien überlegen, weil wir dem Chaos entkommen sind? Aber was ist Chaos? Und was Ordnung? Und wer hat sie? Und warum? Und wer entkommt je?
      Ein fahles Leuchten fliegt über dem Parkrand hoch, und nach langer Zeit antwortet ein sehr schwaches Murren. Wie eine Kabine voll Licht scheint unser Zimmer zu schwimmen in der Nacht, die unheimlich wird, als rüttelten irgendwo gefangene Riesen an ihren Ketten, um aufzuspringen und das Geschlecht der Zwerge zu vernichten, das sie für kurze Zeit gefesselt hat. Eine Kabine mit Licht in der Dunkelheit, Bücher und drei geordnete Gehirne in einem Hause, in dem wie in den Waben eines Bienenkorbes das Unheimliche eingesperrt ist, wetterleuchtend in den zerstörten Gehirnen ringsum! Wie, wenn in einer Sekunde ein Blitz der Erkenntnis durch alle schlüge und sie sich zusammenfänden in einer Revolte, wenn sie die Schlösser brächen, die Stangen zersprengten, und wie eine graue Woge die Treppe hinaufschäumten und das erleuchtete Zimmer, diese Kabine begrenzten, festen Geistes wegschwemmten in die Nacht und in das, was ohne Namen mächtiger hinter der Nacht steht?
      Ich drehe mich um. Der Mann des Glaubens und der Mann der Wissenschaf sitzen unter dem Licht, das sie

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