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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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riesiger fröhlicher Specht. Wilkes Geschäf blüht; einen Sarg braucht schließlich jeder, sogar ein Selbstmörder – die Zeit der Massengräber und der Beerdigungen in Zeltbahnen ist seit dem Krieg vorbei. Man verfault wieder standesgemäß, in langsam morsch werdendem Holz, im Totenhemd oder im Frack ohne Rücken und im Totenkleid aus weißem Crêpe de Chine. Der Bäckermeister Niebuhr sogar im Schmuck aller seiner Orden und Vereinsabzeichen; seine Frau hat darauf bestanden. Auch eine Kopie der Vereinsfahne des Gesangvereins Eintracht hat sie ihm mitgegeben. Er war dort zweiter Tenor. Jeden Samstag brüllte er das «Schweigen im Walde» und «Stolz weht die Flagge schwarzweiß-rot», trank genug Bier, um fast zu platzen, und ging dann nach Hause, seine Frau zu verprügeln. Ein aufrechter Mann, wie der Pastor am Grabe sagte.
      Heinrich Kroll verschwindet zum Glück um zehn Uhr, mit Fahrrad und gestreifer Hose, um auf die Dörfer zu gehen. So viel frischer Granit macht sein Kaufmannsherz unruhig; er muß los, ihn an die trauernden Hinterbliebenen zu bringen.
      Wir können uns jetzt freier entfalten. Zunächst machen wir eine Pause und werden von Frau Kroll mit Leberwurstbutterbroten und Kaffee erquickt. Lisa erscheint am Hofor. Sie trägt ein knallrotes Seidenkleid. Die alte Frau Kroll verscheucht sie mit einem Blick. Sie kann Lisa nicht ausstehen, obschon sie keine Kirchenläuferin ist.
      «Diese dreckige Schlampe», erklärt sie zielsicher.
      Georg fällt prompt darauf herein. «Dreckig? Wieso ist sie dreckig?»
      «Sie ist dreckig, siehst du das nicht? Ungewaschen, aber einen Seidenfetzen darüber.»
      Ich sehe, daß Georg unwillkürlich nachdenklich wird. Dreck hat keiner gern an der Geliebten, wenn er nicht dekadent ist. Seine Mutter hat eine Sekunde lang eine Art Triumphblitz im Auge; dann wechselt sie das Tema. Ich schaue sie bewundernd an; sie ist ein Feldherr mit mobilen Einheiten – schlägt rasch zu, und wenn der Gegner sich langsam zur Wehr anschickt, ist sie schon ganz woanders. Lisa mag schlampig sein; aber auffallend dreckig ist sie bestimmt nicht.
      Die drei Töchter des Feldwebels Knopf schwirren aus dem Hause. Sie sind klein, rundlich und flink, Näherinnen wie ihre Mutter. Den ganzen Tag surren ihre Maschinen. Jetzt zwitschern sie davon, Pakete mit unerschwinglich teuren seidenen Hemden für die Schieber in ihren Händen. Knopf, der alte Militär, gibt von seiner Pension keinen Pfennig an den Haushalt ab; dafür haben die vier Frauen zu sorgen.
      Vorsichtig packen wir unsere beiden schwarzen Kreuzdenkmäler aus. Eigentlich sollten sie im Eingang stehen, um einen reichen Effekt zu machen, und im Winter hätten wir sie auch dahin gestellt; aber es ist Mai, und so sonderbar es auch sein mag: unser Hof ist ein Tummelplatz der Katzen und der Liebenden. Die Katzen schreien bereits im Februar von den Hügelsteinen herab und jagen sich hinter den Grabeinfassungen aus Zement – die Liebenden aber stellen sich prompt ein, wenn es warm genug ist, im Freien zu lieben – und wann ist es dazu zu kalt? Die Hakenstraße ist abgelegen und still, unser Hofor einladend und der Garten alt und groß. Die etwas makabre Ausstellung stört die Liebespaare nicht; im Gegenteil, sie scheint sie zu besonderem Ungestüm anzufachen. Es ist erst zwei Wochen her, daß ein Kaplan aus dem Dorf Halle, der wie alle Gottesmänner mit den Hühnern aufzustehen gewohnt ist, morgens um sieben bei uns erschien, um vier der kleinsten Hügelsteine für die Gräber von im Laufe des Jahres verstorbenen barmherzigen Schwestern zu kaufen. Als ich ihn schlafrunken in den Garten führte, konnte ich gerade noch rechtzeitig ein rosa Höschen aus Kunstseide entfernen, das wie eine Fahne am rechten Arm unseres allseitig polierten Kreuzdenkmals flatterte und von einem begeisterten nächtlichen Paar vergessen worden war. Das Leben zu säen an der Stätte des Todes hat sicher etwas im weiten, poetischen Sinne Versöhnliches, und Otto Bambuss, der dichtende Schulmeister unseres Klubs, hat, als ich ihm das erzählte, die Idee sofort gestohlen und zu einer Elegie mit kosmischem Humor verarbeitet – aber sonst kann es doch recht störend wirken, besonders wenn in der Nähe dann noch eine leere Schnapsflasche in der frühen Sonne glänzt.

    Ich übersehe die Ausstellung. Sie wirkt gefällig, soweit man das von Leichensteinen sagen kann. Die beiden Kreuze stehen schimmernd auf ihren Sockeln in der Morgensonne, Symbole der

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