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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Ewigkeit, geschliffene Teile der einst glühenden Erde, erkaltet, poliert und jetzt bereit, für immer den Namen irgendeines erfolgreichen Geschäfsmannes oder reichen Schiebers für die Nachwelt aufzubewahren – denn selbst ein Gauner will nicht gern ganz ohne Spur von diesem Planeten verschwinden.
      «Georg», sage ich, «wir müssen aufpassen, daß dein Bruder unser Werdenbrücker Golgatha nicht an ein paar Mistbauern verkauf, die erst nach der Ernte zahlen. Laß uns an diesem blauen Tag, unter Vogelgesang und Kaffeegeruch, einen heiligen Schwur schwören: Die beiden Kreuze werden nur gegen Barzahlung verkauf!»
      Georg schmunzelt. «Es ist nicht ganz so gefährlich. Wir haben unsern Wechsel in drei Wochen einzulösen. Solange wir das Geld früher hereinbekommen, haben wir verdient.»
      «Was verdient?» erwidere ich. «Eine Illusion – bis zum nächsten Dollarkurs.»
      «Du bist manchmal zu geschäflich», Georg zündet sich umständlich eine Zigarre im Werte von fünfausend Mark an. «Anstatt zu jammern solltest du lieber die Inflation als umgekehrtes Symbol des Lebens auffassen. Jeder gelebte Tag ist ein Tag Dasein weniger. Wir leben vom Kapital, nicht von den Zinsen. Jeden Tag steigt der Dollar; aber jede Nacht fällt der Kurs deines Lebens um einen Tag. Wie wäre es mit einem Sonett darüber?»
      Ich betrachte den selbstgefälligen Sokrates der Hakenstraße. Leichter Schweiß ziert seinen kahlen Kopf wie Perlen ein helles Kleid. «Es ist erstaunlich, wie philosophisch man sein kann, wenn man nachts nicht allein geschlafen hat», sage ich.
      Georg zuckt nicht mit der Wimper. «Wann sonst?» erklärt er ruhig. «Philosophie soll heiter sein und nicht gequält. Metaphysische Spekulationen damit zu verknüpfen ist dasselbe, wie Sinnenfreude mit dem, was die Mitglieder eures Dichterklubs ideale Liebe nennen. Es wird ein unerträglicher Mischmasch.»
      «Ein Mischmasch?» sage ich, irgendwo getroffen. «Sieh einmal an, du Kleinbürger des Abenteuers! Du Schmetterlingssammler, der alles auf Nadeln spießen will! Weißt du nicht, daß man tot ist ohne das, was du Mischmasch nennst?»
      «Nicht die Spur. Ich halte nur die Dinge auseinander.»
      Georg bläst mir den Rauch seiner Zigarre ins Gesicht.
      «Ich leide lieber würdig und mit philosophischer Schwermut an der Flüchtigkeit des Lebens, als daß ich den vulgären Irrtum mitmache, irgendeine Minna oder Anna mit dem kühlen Geheimnis des Daseins zu verwechseln und anzunehmen, die Welt ende, wenn Minna oder Anna einen anderen Karl oder Josef bevorzugen. Oder eine Erna einen riesigen Säugling in englischem Kammgarn.»
      Er grinst. Ich sehe ihm kalt in sein verräterisches Auge.
      «Ein billiger Schuß, Heinrichs würdig!» sage ich. «Du schlichter Genießer des Erreichbaren! Willst du mir einmal erklären, wozu du denn mit Leidenschaf Zeitschrifen liest, in denen es von unerreichbaren Sirenen, Skandalen aus der höchsten Gesellschaf, Damen des Teaters und Herzensbrecherinnen im Film nur so wimmelt?»
      Georg bläst mir abermals für dreihundert Mark Rauch in die Augen. «Das tue ich für meine Phantasie. Hast du nie etwas von himmlischer und irdischer Liebe gehört? Du hast doch erst kürz lich versucht, sie in deiner Erna zu vereinigen, und eine schöne Lehre bekommen, du braver Kolonialwarenhändler der Liebe, der Sauerkraut und Kaviar im selben Laden haben möchte! Weißt du denn immer noch nicht, daß dann das Sauerkraut nie nach Kaviar, aber der Kaviar immer nach Sauerkraut schmeckt? Ich halte sie weit auseinander, und du solltest das auch tun! Es macht das Leben bequem. Und nun komm, wir wollen Eduard Knobloch peinigen. Er serviert heute Schmorbraten mit Nudeln.»
      Ich nicke und hole wortlos meinen Hut. Georg hat mich, ohne es zu merken, schwer angeschlagen – aber der Teufel soll mich holen, wenn ich es ihn merken lasse.

    Als ich zurückkomme, sitzt Gerda Schneider im Büro. Sie trägt einen grünen Sweater, einen kurzen Rock und große Ohrringe mit falschen Steinen. An die linke Seite des Sweaters hat sie eine der Blumen aus Riesenfelds Bukett gesteckt, das außerordentlich dauerhaf gewesen sein muß. Sie deutet darauf und sagt: «Merci! Alles war neidisch. Das war ein Busch für eine Primadonna.»
      Ich sehe sie an. Da sitzt wahrscheinlich genau das, was Georg unter irdischer Liebe versteht, denke ich – klar, fest, jung und ohne Phrasen. Ich habe ihr Blumen geschickt, und sie ist gekommen, basta. Sie hat

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