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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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und es dann vergißt.»
      Ich versuche, mir das vorzustellen. Ich kann es nicht; ich habe seit zu langer Zeit kein Fünfmarkstück mehr gesehen. Aber ich kenne eine Frau, die auf diese Weise einen mittleren Nagel aus der Wand reißen kann. Es ist Frau Beckmann, die Freundin des Schusters Karl Brill. Sie ist ein mächtiges Weib, völlig aus Eisen. Karl Brill hat schon manche Wette mit ihr gewonnen, und ich habe ihre Kunst selbst bewundert. Ein Nagel wird in die Wand der Werkstatt eingeschlagen, nicht allzutief natürlich, aber so, daß es eines tüchtigen Ruckes mit der Hand bedürfe, ihn herauszureißen. Dann wird Frau Beckmann geweckt. Sie erscheint unter den Trinkern in der Werkstatt im leichten Morgenrock, ernst, nüchtern und sachlich. Ein bißchen Watte wird um den Nagelkopf gewunden, damit sie sich nicht verletzen kann, dann stellt sich Frau Beckmann hinter einen niedrigen Paravant, mit dem Rücken zur Wand, leicht gebückt, den Morgenrock züchtig umgeschlagen, die Hände auf den Paravant gelegt. Sie manövriert etwas, um den Nagel mit ihren Schinken zu fassen, straf sich plötzlich, richtet sich auf, entspannt – und der Nagel fällt auf den Boden. Etwas Kalkstaub rieselt gewöhnlich hinterher. Frau Beckmann, wortlos, ohne ein Zeichen von Triumph, dreht sich um, entschwindet die Treppe hinauf, und Karl Brill kassiert von den erstaunten Kegelbrüdern die Wetten ein. Es ist eine streng sportliche Sache; niemand sieht Frau Beckmanns Formen anders als von der rein fachlichen Seite. Und niemand wagt ein loses Wort darüber. Sie würde ihm eine Ohrfeige kleben, die ihm den Kopf losrisse. Sie ist riesenstark; die beiden Ringerinnen sind blutarme Kinder gegen sie.
      «Also, machen Sie Gerda glücklich», sagt Renée lakonisch.
      «Für vierzehn Tage. Einfach, was?»
      Ich stehe etwas verlegen da. Das Vademekum für guten Ton sieht diese Situation sicher nicht vor. Zum Glück erscheint Willy. Er ist elegant gekleidet, hat einen leichten grauen Borsalino schief auf dem Kopf und wirkt trotzdem wie ein Zementblock, der mit künstlichen Blumen besteckt ist. Mit vornehmer Geste küßt er Renée die Hand; dann greif er in seine Tasche und bringt ein kleines Etui hervor. «Der interessantesten Frau in Werdenbrück», erklärt er mit einer Verbeugung.
      Renée stößt einen Sopranschrei aus und sieht Willy ungläubig an. Dann öffnet sie das Kästchen. Ein goldener Ring mit einem Amethyst funkelt ihr entgegen. Sie schiebt ihn auf ihren linken Mittelfinger, starrt ihn entzückt an und wirf dann ihre Arme um Willy. Willy steht sehr stolz da und lächelt. Er hört sich das Trillern und die Baßstimme an; Renée verwechselt sie in der Aufregung alle Augenblicke. «Willy!» zirpt und donnert sie. «Ich bin ja so glücklich!»
      Gerda kommt im Bademantel aus der Garderobe. Sie hat das Geschrei gehört und will sehen, was los ist.
      «Macht euch fertig, Kinder», sagt Willy. «Wir wollen hier raus.»
      Die beiden Mädchen verschwinden. «Hättest du Kaffer Renée den Ring nicht später geben können, wenn ihr allein seid?» frage ich. «Was mache ich jetzt mit Gerda?»
      Willy bricht in ein gutmütiges Gelächter aus. «Verdammt, daran habe ich nicht gedacht! Was machen wir da wirklich? Kommt mit uns essen.»
      «Damit wir alle vier dauernd auf Renées Amethyst starren müssen? Ausgeschlossen.»
      «Hör zu», erwidert Willy. «Die Sache mit Renée und mir ist anders als deine mit Gerda. Ich bin seriös. Glaube es oder nicht: Ich bin verrückt nach Renée. Seriös verrückt. Sie ist eine Prachtsnummer!»
      Wir setzen uns in zwei alte Rohrstühle an der Wand. Die weißen Spitze üben jetzt, auf den Vorderpfoten zu gehen.
      «Stell dir vor», erklärt Willy. «Was mich verrückt macht, ist die Stimme. Nachts ist das eine tolle Sache. Als ob du zwei verschiedene Frauen hast. Einmal eine zarte und gleich darauf ein Fischweib. Es geht sogar noch weiter. Wenn es dunkel ist und sie auf einmal mit der Kommandostimme loslegt, läuf es mir kalt über den Rücken. Es ist verdammt sonderbar! Ich bin doch nicht schwul, aber manchmal habe ich das Gefühl, ich schände einen General oder dieses Aas, den Unteroffizier Flümer, der dich ja auch gefoltert hat in unserer Rekrutenzeit – es ist nur so ein Augenblick, dann ist alles wieder in Ordnung, aber – du verstehst, was ich meine?»
      «So ungefähr.»
      «Schön, also sie hat mich erwischt. Ich möchte, daß sie hierbleibt. Werde ihr eine kleine

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