Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
Vom Netzwerk:
küssen. Auch Georg ist alarmiert. Ich weiß, daß er nachher behaupten wird, der Grund für Eduards unglaubliche Freigebigkeit sei die Tatsache, daß Gerda mit ihm bereits geschlafen habe – aber das weiß ich dieses Mal besser. Rehrücken kriegt sie nur so lange, wie sie das noch nicht getan hat. Wenn er sie erst hat, gibt es nur noch Königsberger Klopse mit deutscher Tunke. Und ich habe keine Sorge, daß Gerda das nicht auch weiß.
      Trotzdem beschließe ich, mit ihr nach dem Essen zusammen wegzugehen. Vertrauen ist zwar Vertrauen, aber Eduard hat zuviel verschiedene Liköre in der Bar.

    Still und mit allen Sternen hängt die Nacht über der Stadt. Ich hocke am Fenster meines Zimmers und warte auf Knopf, für den ich die Regenröhre vorbereitet habe. Sie reicht gerade ins Fenster hinein und läuf von da über den Toreingang bis an das Knopfsche Haus. Dort macht das kurze Stück eine rechtwinklige Biegung zum Hof hin. Man kann aber die Röhre vom Hof aus nicht sehen.
      Ich warte und lese die Zeitung. Der Dollar ist um weitere zehntausend Mark hinaufgeklettert. Gestern gab es nur einen Selbstmord, dafür aber zwei Streiks. Die Beamten haben nach langem Verhandeln endlich eine Lohnerhöhung erhalten, die inzwischen bereits so entwertet ist, daß sie jetzt kaum noch einen Liter Milch in der Woche dafür kaufen können. Nächste Woche wahrscheinlich nur noch eine Schachtel Streichhölzer. Die Arbeitslosenziffer ist um weitere hundertfünfzigtausend gestiegen. Unruhen mehren sich im ganzen Reich. Neue Rezepte für die Verwertung von Abfällen in der Küche werden angepriesen. Die Grippewelle steigt weiter. Die Erhöhung der Renten für die Alters- und Invalidenversicherung ist einem Komitee zum Studium überwiesen worden. Man erwartet in einigen Monaten einen Bericht darüber. Die Rentner und Invaliden versuchen sich in der Zwischenzeit durch Betteln oder durch Unterstützungen von Bekannten und Verwandten vor dem Verhungern zu schützen.
      Draußen kommen leise Schritte heran. Ich luge vorsichtig aus dem Fenster. Es ist nicht Knopf; es ist ein Liebespaar, das auf Zehenspitzen durch den Hof in den Garten schleicht. Die Saison ist jetzt in vollem Gange, und die Not der Liebenden ist größer als je. Wilke hat recht: wohin sollen sie gehen, um ungestört zu sein? Wenn sie versuchen, in ihre möblierten Zimmer zu schleichen, liegt die Wirtin auf der Lauer, um sie im Namen der Moral und des Neides wie ein Engel mit dem Schwert auszutreiben – in öffentlichen Anlagen und Gärten werden sie von Polizisten angebrüllt und festgenommen – für Hotelzimmer haben sie kein Geld – wohin sollen sie also gehen? In unserem Hof sind sie ungestört. Die größeren Denkmäler bieten Schutz vor anderen Paaren; man wird nicht gesehen, und man kann sich an sie anlehnen und in ihrem Schatten flüstern und sich umarmen, und die großen Kreuzdenkmäler sind nach wie vor für die stürmisch Liebenden an feuchten Tagen da, wenn sie sich nicht am Boden lagern können; dann halten die Mädchen sich an ihnen fest und werden von ihren Bewerbern bedrängt, der Regen schlägt in ihre heißen Gesichter, der Nebel weht, ihr Atem fliegt stoßweise, und die Köpfe, deren Haar ihr Geliebter mit seinen Fäusten gepackt hat, sind hochgerissen wie die wiehernder Pferde. Die Schilder, die ich neulich angebracht habe, haben nichts genützt. Wer denkt schon an seine Zehen, wenn sein ganzes Dasein in Flammen steht?
      Plötzlich höre ich Knopfs Schritte in der Gasse. Ich sehe auf die Uhr. Es ist halb drei; der Schleifer vieler Generationen unglücklicher Rekruten muß also schwer geladen haben. Ich drehe das Licht ab. Zielbewußt steuert Knopf sofort auf den schwarzen Obelisken zu. Ich nehme das Ende der Regenröhie, das in mein Fenster ragt, presse meinen Mund dicht an die Oeffnung und
    sage: «Knopf!»
      Es klingt hohl am anderen Ende, im Rücken des Feldwebels, aus der Röhre, als käme es aus einem Grabe. Knopf blickt um sich; er weiß nicht, woher die Stimme kommt. «Knopf!» wiederhole ich. «Schwein! Schämst du dich nicht? Habe ich dich deshalb erschaffen, damit du säufst und Grabsteine anpißt, du Sau?»
      Knopf fährt wieder herum. «Was?» lallt er. «Wer ist da?»
      «Dreckfink!» sage ich, und es klingt geisterhaf und unheimlich. «Fragen stellst du auch noch? Hast du einen Vorgesetzten zu fragen? Steh stramm, wenn ich mit dir rede!»
      Knopf starrt sein Haus an, von dem die Stimme kommt. Alle Fenster darin sind

Weitere Kostenlose Bücher