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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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–»
      «Königsberger Klops», unterbricht Eduard sie. «Gut, laden wir sie zum Klops ein. Ich werde für einen extra guten sorgen.»
      «Rehrücken», sagt Gerda.
      Eduard ähnelt einer defekten Dampfmaschine. «Das da sind keine Freunde», erklärt er.
      «Was?»
      «Wir sind Blutsfreunde, wie Valentin», sage ich. «Erinnerst du dich noch an unser letztes Gespräch im Dichterklub? Soll ich es laut wiederholen? In welcher Versform dichtest du jetzt?»
      «Über was habt ihr gesprochen?» fragt Gerda.
      «Über nichts», erwidert Eduard rasch. «Die beiden hier sagen nie ein wahres Wort! Witzbolde, trostlose Witzbolde sind sie! Wissen nichts vom Ernst des Lebens.»
      «Ich möchte wissen, wer außer Totengräbern und Sargtischlern mehr vom Ernst des Lebens weiß als wir», sage ich.
      «Ach ihr! Ihr wißt nur was von der Lächerlichkeit des Todes», erklärt Gerda plötzlich aus heiterem Himmel. «Und deshalb versteht ihr nichts mehr vom Ernst des Lebens.»
      Wir starren sie maßlos verblüf an. Das ist bereits unverkennbar Eduards Stil! Ich fühle, daß ich auf verlorenem Boden kämpfe,
    gebe aber noch nicht auf.
      «Von wem hast du das?» frage ich. «Du Sybille über den dunklen Teichen der Schwermut!»
      Gerda lacht. «Für euch ist das Leben immer gleich beim Grabstein. So schnell geht das nicht für andere Menschen. Eduard zum Beispiel ist eine Nachtigall!»
      Eduard blüht über seine fetten Backen. «Wie ist es also mit dem Rehrücken?» fragt Gerda ihn.
      «Nun, schließlich, warum nicht?»
      Eduard entschwindet. Ich sehe Gerda an. «Bravo!» sage ich. «Erstklassige Arbeit. Was sollen wir davon halten?»
      «Mach nicht ein Gesicht wie ein Ehemann», erwidert sie. «Freue dich einfach deines Lebens, fertig.»
      «Was ist das Leben?»
      «Das, was gerade passiert.»
      «Bravo», sagt Georg. «Und herzlichen Dank für die Einladung. Wir lieben Eduard wirklich sehr; er versteht uns nur nicht.»
      «Liebst du ihn auch?» frage ich Gerda.
      Sie lacht. «Wie kindisch er ist», sagt sie zu Georg. «Können Sie ihm nicht ein bißchen die Augen darüber öffnen, daß nicht alles immer sein Eigentum ist? Besonders, wenn er selbst nichts dazu tut?»
      «Ich versuche fortwährend, ihn aufzuklären», erwidert Georg. «Er hat nur einen Haufen Hindernisse in sich, die er Ideale nennt. Wenn er erst einmal merkt, daß das euphemistischer Egoismus ist, wird er sich schon bessern.»
      «Was ist euphemistischer Egoismus?»
      «Jugendliche Wichtigtuerei.»
      Gerda lacht derartig, daß der Tisch zittert. «Ich habe das nicht, ungern», erklärt sie. «Aber ohne Abwechslung ermüdet es. Tatsachen sind nun einmal Tatsachen.»
      Ich hüte mich zu fragen, ob Tatsachen wirklich Tatsachen seien. Gerda sitzt da, ehrlich und fest, und wartet mit aufgestemmtem Messer auf die zweite Portion Rehrücken. Ihr Gesicht ist runder als früher; sie hat schon zugenommen bei Eduards Kost und strahlt mich an und ist nicht im mindesten verlegen. Weshalb sollte sie auch? Was für Rechte habe ich tatsächlich schon an ihr? Und wer betrügt im Augenblick wen? «Es ist wahr», sage ich. «Ich bin mit egoistischen Atavismen behangen wie ein Fels mit Moos. Mea culpa!»
      «Recht, Schatz», erwidert Gerda. «Genieße dein Leben und denke nur, wenn es nötig ist.»
      «Wann ist es nötig?»
      «Wenn du Geld verdienen mußt oder vorwärtskommen willst.»
      «Bravo», sagt Georg wieder. In diesem Augenblick erscheint der Rehrücken, und das Gespräch stockt. Eduard überwacht uns wie eine Bruthenne ihre Küken. Es ist das erstemal, daß er uns unser Essen gönnt. Er hat ein neues Lächeln, aus dem ich nicht klug werde. Es ist voll von feister Überlegenheit, und er steckt es Gerda ab und zu heimlich zu wie ein Verbrecher jemandem einen Kassiber im Gefängnis. Aber Gerda hat immer noch ihr altes, völlig offenes Lächeln, das sie unschuldig wie ein Kommunionkind mir zustrahlt, wenn Eduard wegsieht. Sie ist jünger als ich, aber ich habe das Gefühl, daß sie mindestens vierzig Jahre mehr Erfahrung hat. «Iß, Baby», sagt sie.
      Ich esse mit schlechtem Gewissen und starkem Mißtrauen, und der Rehbraten, eine Delikatesse ersten Ranges, schmeckt mir plötzlich nicht. «Noch ein Stückchen?» fragt Eduard mich. «Oder noch etwas Preiselbeersoße?»
      Ich starre ihn an. Ich habe das Gefühl, als habe mein früherer Rekrutenunteroffizier mir vorgeschlagen, ihn zu

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