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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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gehen mich die andern an? Habe ich den anderen ihren Katechismus abgehört? Habe ich ihnen den Aufsatz gemacht? Habe ich aufgepaßt, daß sie sich nicht erkälten, du verfluchter Rotzbengel?»
      «Aber ich bin jetzt siebzehneinhalb –»
      «Halt die Klappe! Das ist ja, als ob du Lümmel deine Mutter vergewaltigen wolltest! Raus hier, du minderjähriger Flegel!»
      «Er geht morgen in den Krieg», sage ich. «Haben Sie kein patriotisches Verständnis?» Sie faßte mich ins Auge.
      «Bist du nicht der, der die Kreuzottern hier losgelassen hat? Drei Tage mußten wir das Etablissement schließen, bis wir die Biester gefunden hatten!»
      «Ich habe sie nicht losgelassen», verteidigte ich mich. «Sie sind mir entkommen.» Bevor ich noch mehr sagen konnte, hatte ich ebenfalls eine Ohrfeige sitzen. «Lausebengels! Raus mit euch!»
      Der Lärm brachte die Puffmutter herbei. Sie ließ sich von der empörten Fritzi die Sache erklären. Sie erkannte Willy auch sofort wieder. «Der Rote!» keuchte sie. Sie wog zweihundertvierzig Pfund und zitterte vor Lachen wie ein Berg von Gelee im Erdbeben.
      «Und du! Heißt du nicht Ludwig?»
      «Ja», sagte Willy. «Aber wir sind jetzt Soldaten und haben ein Recht auf Geschlechtsverkehr.»
      «So, ihr habt ein Recht!» Die Puffmutter schüttelte sich erneut. «Weißt du noch, Fritzi, wie er Angst hatte, daß sein Vater erfahren würde, er habe die Stinkbomben in der Religionsstunde geworfen? Jetzt hat er ein Recht auf Geschlechtsverkehr! Hohoho!»
      Fritzi sah den Humor der Sache nicht. Sie war ehrlich wütend und beleidigt. «Als wenn mein eigener Sohn –»
      Die Puffmutter mußte von zwei Mann aufrecht gehalten werden. Tränen strömten über ihr Gesicht. Speichelblasen formten sich an ihren Mundwinkeln. Sie hielt sich mit beiden Händen den schwabbelnden Bauch. «Limonade», würgte sie heraus. «Waldmeisterlimonade! War das nicht» – Keuchen, Ersticken – «euer Lieblingsgetränk?»
      «Jetzt trinken wir Schnaps und Bier», erwiderte ich. «Jeder wird mal erwachsen.»
      «Erwachsen!» Erneuter Erstickungsanfall der Puffmutter, Toben der beiden Doggen, die ihr gehörten und glaubten, sie würde attackiert. Wir zogen uns vorsichtig zurück. «Raus, ihr undankbaren Schweine!» rief Fritzi unversöhnlich.
      «Schön», sagte Willy an der Tür. «Dann gehen wir eben zur Rollstraße.»
      Wir standen mit unseren Uniformen, unseren Mordwaffen und den Ohrfeigen draußen. Aber wir kamen nicht zur Rollstraße, zum zweiten Puff der Stadt. Es war ein Weg von über zwei Stunden, quer durch ganz Werdenbrück, und wir ließen uns lieber statt dessen rasieren. Auch das war das erstemal in unserem Leben, und da wir den Beischlaf nicht kannten, schien uns der Unterschied nicht so groß wie später, zumal uns auch der Friseur beleidigte und uns Radiergummi für unsere Barte empfahl. Nachher trafen wir dann weitere Bekannte, und bald hatten wir genug getrunken und vergaßen alles. So kam es, daß wir als Jungfrauen ins Feld fuhren und daß siebzehn von uns fielen, ohne je gewußt zu haben, was eine Frau ist. Willy und ich verloren unsere Jungfernschaf dann in Houthoulst in Flandern in einem Estaminet. Willy holte sich dabei einen Tripper, kam ins Lazarett und entging so der Flandernschlacht, in der die siebzehn Jungfrauen fielen. Wir sahen daran bereits damals, daß Tugend nicht immer belohnt wird.
      Wir wandern durch die laue Sommernacht. Otto Bambuss hält sich an mich als den einzigen, der zugibt, den Puff zu kennen. Die anderen kennen ihn auch, tun aber unschuldig, und der einzige, der behauptet, ein fast täglicher Gast dort zu sein, der Dramatiker und Schöpfer des Monowerkes «Adam», Paul Schneeweiß, lügt; er ist nie dort gewesen.
      Ottos Hände schwitzen. Er erwartet Priesterinnen der Lust, Bacchantinnen und dämonische Raubtiere, und ist nicht ganz sicher, ob er nicht mit herausgerissener Leber oder zumindest ohne Hoden in Eduards Opel zurücktransportiert wird. Ich tröste ihn.
      «Verletzungen kommen höchstens ein-, zweimal in der Woche vor, Otto! Und dann sind sie fast immer viel harmlosere Vorgestern wurde einem Gast von Fritzi ein Ohr abgerissen; aber soviel ich weiß, kann man Ohren wieder annähen oder durch Zelluloidohren von täuschender Ähnlichkeit ersetzen.»
      «Ein Ohr?» Otto bleibt stehen.
      «Es gibt natürlich Damen, die keine abreißen», erwidere ich. «Aber die willst du ja nicht kennenlernen. Du willst doch

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