Der Schwarze Orden
weiterging.«
»In der Straße dürfte es ziemlich dunkel gewesen sein«, bohrte Paula behutsam weiter.
»Sie haben die Frau also nicht sehr deutlich gesehen.«
»Der Mond schien. Und als sie unter einer Straßenlaterne durchging, wehte ihr ein Windstoß den Schleier aus dem Gesicht. Sie zog ihn sich zwar sofort wieder vors Gesicht, aber ich konnte trotzdem sehen, daß sie rothaarig war.« Horn begann rascher zu sprechen, als seine Erinnerungen zurückkehrten. »Ihr Haar war sehr voll – wie Flammen. Sie sah sehr gut aus.«
»Eine Frau, mit der man gern ausgehen würde?« fragte Paula mit einem strahlenden Lächeln.
»O ja, sie war sehr attraktiv. Seltsamerweise bin ich ganz sicher, daß sie Europäerin oder Amerikanerin war, eine richtige Dame. Wie man sie in der Old Bond Street in London sehen kann.«
»Glauben Sie, sie hat Sie bemerkt?«
»Ganz sicher nicht. Wo ich saß, war es sehr dunkel. Bevor sie sich entfernte, sah sie kurz die Straße hinauf und hinunter. Ihr Blick verharrte nicht auf dem Hauseingang, in dem ich saß.«
»Vielen Dank, Mr. Horn. Dürfte ich Sie bitten, niemandem zu erzählen, was Sie gesehen haben – auch keinem engen Freund oder Verwandten.«
»Ihr Leben könnte davon abhängen, daß Sie den Mund halten«, fügte Beck zu Paulas nicht geringem Arger hinzu.
»Es ist einfach nur eine Frage der Diskretion«, erklärte Paula freundlich. »Jedenfalls vielen Dank für Ihre bereitwillige Unterstützung. Noch eine letzte Frage. Würden Sie diese Frau wiedererkennen, wenn Sie sie noch einmal sähen?«
»Ich glaube nicht. Es ging alles so schnell.«
»Noch mal vielen Dank«, sagte Paula.
Sie wartete, bis Beck Horn aus dem Raum begleitet hatte, wo ihn die zwei Kriminalbeamten in Empfang nahmen. Als Beck sich von der Tür abwandte, war seine Miene plötzlich ungewöhnlich finster.
»Das war ein hervorragendes Verhör«, bemerkte er anerkennend. »Mir hat er nicht erzählt, daß sie rothaarig war, daß er einen Blick auf ihr Gesicht erhascht hatte. Stimmt etwas nicht?«
»Allerdings«, erwiderte Paula. »Die verschleierte Frau, die in Engels Wohnung eingedrungen war und die ich später in normaler Kleidung die Kärntnerstraße hinuntergehen sah, war auf keinen Fall größer als eins sechzig. Und sie hatte kastanienbraunes Haar.«
»Eine Perücke?« meinte Beck.
»Nein. Wie könnte eine Frau plötzlich um fast zwanzig Zentimeter größer werden?
Diese Mörderin war eine andere.« Paula sah Tweed an. »Wir haben es mit mehr als einer Killerin zu tun.«
9
Nach einer längeren Diskussion hatte Tweed Paula und Marler, den er ebenfalls in sein Zimmer hatte kommen lassen, seine Anweisungen erteilt. Dann sagte er, er wolle etwas frische Luft schnappen, und ging zur Tür. Sofort erhob Newman warnend die Stimme.
»Ich habe mir die Liste mit den Mitgliedern des
Institut de la Defense
angesehen, die Paula aus der Schublade von Norbert Engels Schreibtisch genommen hat. Hinter Pierre Dumont steht Ihr Name. Sie sind das nächste Opfer.«
»Ich habe eine Walther übrig, die ich Ihnen geben könnte«, schlug Marler vor.
»Sie wissen, ich trage nur in den seltensten Fällen eine Waffe«, entgegnete Tweed und verließ das Zimmer.
Im Erdgeschoß schlenderte er auf den Haupteingang zu und spähte nach draußen. Im Laufe des Tages würde es wieder sehr heiß werden. Auf der Terrasse saßen bereits einige Leute. Ansonsten wirkte alles völlig normal. Aber das hatte nichts zu bedeuten.
Wenn etwas passierte, würde es ganz unerwartet passieren. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Tweed drehte sich um und ging in die Hotelhalle, wo einige wenige Gäste Kaffee tranken und sich unterhielten. Sie saß an einem Ecktisch. Er erkannte Karin Berg sofort.
Die große, extrem gutaussehende Schwedin trug einen leichten grünen Hosenanzug und eine weiße Baumwollbluse mit rundem Kragen. Ihre Menschenkenntnis war hervorragend – sie wußte genau, Tweed hieße eine Zurschaustellung ihrer langen Beine oder einen tiefen Ausschnitt auf keinen Fall gut. Nicht ahnend, daß er sie bereits entdeckt hatte, hob sie die Hand, um ihn auf sich aufmerksam zu machen.
Scheinbar unschlüssig, wo er Platz nehmen sollte, blieb Tweed in der Tür stehen. Er dachte an die Zeit in Skandinavien zurück, als er mit Karin Berg, die damals noch für die schwedische Spionageabwehr tätig gewesen war, zusammengearbeitet hatte. Er hatte gehört, sie hätte sich beruflich verändert – in welche Richtung, wußte niemand.
Er tat so, als
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