Der Schwarze Orden
Seine Stimme klang völlig verändert. Er hatte mit beängstigender Bitterkeit gesprochen. Seine normalerweise lachenden Augen waren eiskalt geworden.
Tweed tippte mit dem Finger auf das Foto.
»Gibt es noch viele Abzüge von diesem Foto, außer dem, das Sie vermutlich selbst behalten haben?«
»Warum fragen Sie?«
»Weil ich überzeugt bin, daß es viele Abzüge davon gibt. Wir sind beide hinter derselben Person her.«
»Es überrascht mich, daß Sie mit einer so zwielichtigen Gestalt wie mir kollaborieren wollen«, erwiderte Vitorelli mit einem breiten Grinsen.
»Die Lage ist so ernst, daß ich notfalls sogar mit dem Teufel kollaborieren würde.«
»Vielleicht tun Sie genau das. Ja, es gibt jede Menge Abzüge. Ich habe sie an die Angehörigen meines weitgespannten geheimen Nachrichtennetzes verteilt, die in ganz Europa nach ihr suchen. Nicht umsonst hat diese Frau den Spitznamen ›der Schmetterlinge‹ Manchmal denke ich, sie ist eine ruhelose Seele, die irgendein unerreichbares Paradies auf Erden sucht, ein Paradies, das sie nie finden wird.«
»Das Bild, das Sie von ihr zeichnen, ist sehr treffend«, bemerkte Tweed.
»Außerdem sucht mein Adjutant und Vertrauter in allen größeren Schweizer Städten nach ihr.«
»Warum ausgerechnet in der Schweiz?«
»Weil ich weiß, wie raffiniert sie ist. Zum letztenmal wurde sie kurz in Salzburg gesehen.
Und jetzt erfahre ich von Ihnen, daß sie an Norbert Engels Ermordung in Wien beteiligt war. Daher nehme ich an, daß sie in einem neutralen Staat wie der Schweiz Zuflucht gesucht hat .«
»Und es paßt ja auch zu Ihrer Beschreibung des Schmetterlings«, ergriff Paula zum erstenmal das Wort. »Es scheint ein zentraler Wesenszug von ihr zu sein, daß sie es nirgendwo lange aushält.«
»Sehr scharfsinnig«, bemerkte Vitorelli nachdenklich und sah dabei Paula mit neuem Respekt an. »Das zeugt von psychologischem Gespür.«
»Ich bin nichts weiter als eine Frau, die sich in eine andere hineinzuversetzen versucht.«
»In welchen Städten«, fragte Tweed, »hat Ihr Adjutant bisher nach ihr gesucht?«
»Zürich, Basel, Lausanne. Im Moment ist er gerade in Genf. Verschiedene Informationen, die mir meine Kontakte zugespielt haben, deuten darauf hin, daß sich in Genf irgend etwas zusammenbraut – eine Sache von größerer Tragweite.«
»In Genf ist auch die Monceau-Gang aus Frankreich in die Schweiz gekommen«, sagte Tweed. »Vielleicht besteht da irgendein Zusammenhang.«
»Wer weiß. Ich muß jetzt gehen.« Der Italiener stand auf. »Könnte vielleicht nicht schaden, wenn wir in Verbindung bleiben.«
»Das sollten wir unbedingt«, erklärte Tweed.
Marler traf ein, kurz nachdem Vitorelli gegangen war. Er trug einen ziemlich schäbigen Anzug. Die Hose ohne Bügelfalte, das Jackett zerknittert. Paula sah ihn erstaunt an.
»Was ist passiert? Wie kommt es, daß eine normalerweise so elegante Erscheinung wie Sie plötzlich wie eine Vogelscheuche daherkommt?«
»Jedenfalls falle ich so nicht groß auf, oder?« entgegnete Marler ironisch.
»Wohl kaum.«
»Genau das war meine Absicht. Ich habe mich ein bißchen umgesehen.« Er nahm seine Sonnenbrille ab. Sie war erheblich größer als die Modelle, die er sonst trug. »Ich habe mich im Dolder Grand für eine Stelle als Hoteldiener beworben. Sie haben mich nicht genommen. Nicht zu fassen!«
»Und wenn sie Sie genommen hätten?«
»Hätte ich gesagt, die Bezahlung wäre zu schlecht. Anschließend habe ich einen Packen Geldscheine herausgeholt. Dem Portier fielen fast die Augen aus dem Kopf. Ich hab ihm gesagt, ich würde in die Bar gehen. Er war so baff, daß er mich nicht zurückzuhalten versuchte. Wahrscheinlich dachte er, ich wäre irgend so ein ausgeflippter Millionär, dem es völlig egal ist, wie er aussieht, und daß das Ganze nur ein Scherz war.«
»Haben Sie etwas herausgefunden?« fragte Tweed.
»Nur, daß jemand nicht mehr im Hotel war. Captain William Wellesley Carrington hatte ganz plötzlich sein Zimmer aufgegeben. Ich hab mich nämlich mit dem Barkeeper sehr gut verstanden.«
»Willie ist verschwunden?«
»Hat sein Zimmer aufgegeben. Nächste Meldung. Arnos Lodge hat sich den ganzen Morgen in seinem Zimmer eingeschlossen. Hat sich das Frühstück hochkommen lassen. Irgendwas Neues von unserem liebenswerten Halunken, Emilio Vitorelli?«
Tweed erzählte ihm alles, was ihm der Italiener verraten hatte. Nachdenklich an die Wand gelehnt, zündete sich Marler eine King-Size an.
»In Genf tut sich
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