Der Schwarze Papst
war alt und knarrte. Seltsamerweise fiel ihm ein, dass er eben im Speisesaal nur eine einzige Person mit rotem Talar gesehen hatte. Das war ihm aufgefallen, weil die leuchtende Farbe sehr markant war, vor allem zwischen den schwarzen Jesuitengewändern. Einer der Schüler war demnach abwesend.
Sandro fand das Zimmer des Arztes auf Anhieb. Als er die Tür öffnete, sah er als Erstes das offene Fenster, dann spürte er einen starken Luftzug im Nacken, und eine andere Tür des Stockwerks fiel krachend zu.
Die Tasche war schnell gefunden. Er nahm beim Hinuntereilen drei Stufen auf einmal und wäre fast gestürzt, aber wenigstens kam er rechtzeitig zurück. Als er eintrat, hörte er ein Röcheln, und er sah, wie der Arzt vergeblich versuchte, den Mund des Schülers offen zu halten, um seine Finger in dessen Rachen zu stecken.
»Gott sei Dank, Ihr wart schnell«, sagte der Arzt. »Der Junge verkrampft zusehends. Ich muss es schaffen, dass er erbricht.« Er wählte unter den zahlreichen Instrumenten - die allesamt furchterregend wirkten wie böse Träume - ein besonders schlichtes und doch abschreckendes aus, ein sichelförmiges Rohr, halb so dick wie ein Finger.
Währenddessen bemerkte Sandro Ignatius von Loyola, den er fast vergessen hatte. Der Pater General kniete, abgewandt und schweigend ins Gebet versunken, vor einem Kruzifix an der Wand, desinteressiert an der Behandlung des Kranken durch den Arzt und Sandro, so als läge es nicht an ihren Fertigkeiten, Johannes zu retten, sondern allein in Gottes Hand und Urteil.
Ein weiteres Röcheln.
»Bitte, Bruder, schiebt ihm dieses Holz zwischen die Zähne. Es wird seinen Mund offen halten.«
Sandro nickte und tat, was ihm gesagt wurde. Der Arzt führte das Rohr ein, und für einen Moment sah es so aus, als würde der Schüler erbrechen. Doch nach einem entsetzlichen, würgenden Geräusch rann ihm nur ein wenig Wasser über die Lippen, ein bisschen Flüssigkeit, die sich im Mund gebildet hatte.
»So komme ich nicht weiter. Wo bleibt Bruder Birnbaum mit dem Tee?«, rief der Arzt ungeduldig und warf das Instrument beiseite.
Sandro wollte soeben nachsehen, wo der Bruder so lange blieb, als dieser keuchend zur Tür hereinkam. Sandro nahm ihm den dampfenden Becher ab und schloss die Tür wortlos vor seiner Nase.
Sandro und der Arzt wollten gemeinsam beginnen, dem Kranken die Flüssigkeit einzuflößen, als dieser sich aufbäumte. Kopf und Füße auf dem Bett, krümmte der Körper sich in die Höhe, spannte sich wie ein Bogen - und fiel in sich zusammen.
Der junge Mann regte sich nicht mehr, seine Augen waren leblos.
»Mein Gott«, flüsterten Sandro und der Arzt gleichzeitig, aber während Sandro sich bekreuzigte, ließ der Arzt das Instrument fallen und befühlte das Handgelenk des Schülers.
»Sein Herz hat aufgehört zu schlagen«, sagte er, aber was sich bei jedem anderen wie eine feststehende Tatsache angehört hätte, gegen die nicht anzukommen war, klang bei ihm wie eine Herausforderung.
Ehe Sandro begriff, was vorging, holte der Arzt zu einem Schlag aus. Seine flache Hand klatschte auf die bekleidete Brust des Schülers, einmal, zweimal, dreimal, dann wartete er, zählte, und dann wieder: einmal, zweimal, dreimal. Sandro hatte dergleichen noch nie gesehen. Jedes Mal erzitterte der hagere Körper, und jedes Mal hallte das Geräusch dieser verzweifelten Bemühung durch den Raum, so wie zuvor das
verzweifelte Röcheln des Kranken durch den Raum gehallt war.
Aber schließlich …
Der Arzt hielt inne.
Der Arzt nickte Sandro zu.
Sandro flüsterte: »Pater noster qui es in caelis sanctificetur nomen tuum adveniat regnum …«
Ignatius von Loyola kniete noch immer vor dem schlichten Kruzifix, allen Geschehnissen abgewandt. Seine Lippen bewegten sich nicht, und seine Augen waren geschlossen. Hatte er überhaupt mitbekommen, dass der Schüler gestorben war? Sandro war sich nicht sicher, aber er zögerte, Ignatius aus dem Gebet zu wecken. Schließlich riet ihm der Arzt mit einer Geste davon ab.
»Der ehrwürdige Pater General bevorzugt es, selbst den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem er sein Gebet beendet, Bruder«, sagte der Arzt bestimmt, aber nicht unfreundlich.
»Auch in diesem besonderen Fall?«, fragte Sandro. »Wie Ihr meint.« Gemeinsam betrachteten sie den Toten, der in entsetzlicher Verrenkung vor ihnen lag. Als der Arzt dem Leichnam die Augen schließen wollte, hielt Sandro ihn davon ab. »Bitte berührt den Toten nicht.«
»Wieso?«
»Vor der Tür
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