Der Schwarze Papst
befanden. Sie waren gebeten worden, dort zu warten, und trauten sich deswegen nicht, sich Sandro und dem Magister zu nähern, um etwas über den Zustand des Schülers zu erfahren. Angelo jedoch war an die »Bitte« des Ordensgenerals nicht gebunden, verließ den Saal und trat näher.
»Kann ich etwas für Euch tun, Exzellenz?« Angelo ignorierte Sandros Wunsch, im Collegium nicht mit Exzellenz angesprochen zu werden, genau im richtigen Moment - und vermutlich mit voller Absicht. Die Entrüstung war dem Magister anzusehen, und es war erforderlich, ihn diskret darauf hinzuweisen, dass Visitatoren über außerordentliche Vollmachten verfügten. Zwar war Sandro noch nicht offiziell mit dem Fall betraut worden, hielt es aber für besser, dieses Detail vorläufig zu übersehen.
»Ja, Angelo. Bitte hilf mir, die Brüder abzutasten.«
»Abzu…«
»Zu durchsuchen, Angelo.« Sandro streckte seine Arme aus und befühlte Durés Körper durch das Gewand hindurch, was der Magister mit entrüstetem Staunen über sich ergehen ließ. Angelo machte dasselbe bei den beiden Schülern, während Sandro - unter dem Raunen der übrigen Gäste - die ande - ren Jesuiten durchsuchte. Außer Rosenkränzen, Krümeln von
Gebäck und Brotkrumen kam jedoch nichts zum Vorschein. Sandro hatte nichts anderes erwartet.
Er flüsterte Angelo etwas ins Ohr, woraufhin dieser nickte und das Collegium eilig verließ. Sandro bat den Magister ins Sterbezimmer. Magister Duré hatte sich inzwischen wieder etwas gefasst, zumindest äußerlich, aber Sandro merkte ihm an, dass irgendetwas ihn beunruhigte.
»Was wird jetzt geschehen?«, fragte Duré.
Sandro zuckte mit den Schultern. »In Kürze wird der Leibarzt des Papstes hier eintreffen sowie eine weitere Person. Und dann werden wir sehen.«
Doktor Pinetto war ein kleiner Mann, fast ein Zwerg, dessen Stimme so hoch war wie seine Meinung von sich selbst. Die musste man auch haben, wenn man der Leibarzt des Papstes war, denn Julius III. befolgte nicht einen einzigen von Pinettos Ratschlägen - weniger Wein, weniger Essen, die Nacht zum Schlafen nutzen -, und andere Patienten waren Pinetto verwehrt, weil Julius ihn ständig zur Verfügung haben wollte, obwohl er ihn nur selten zu Rate zog. Sandro stellte es sich als äußerst unbefriedigend vor, wenn die Fähigkeiten, die man sich mühselig angeeignet hatte, vergebens und verschwendet waren.
Pinetto ließ sich bei der Untersuchung des Leichnams alle Zeit der Welt. Das wäre nicht ungewöhnlich gewesen, hätte er sich bei dieser Arbeit nicht ausschließlich auf den Mund- und Rachenraum beschränkt. Pinetto beugte sich über den Toten, schnüffelte, stocherte mit einem Holzstab im Mund herum, zog den Stab heraus, schnüffelte am Stab und erneut an den Lippen - und es war tatsächlich ein Schnüffeln, kein Riechen. Pinetto sog die Luft in kleinen Schüben ein, lauter als jeder Jagdhund. So ging das nun schon eine ganze Weile.
Sandro schritt langsam auf und ab, immer dieselbe kahle Wand entlang, aber sobald er sich der Anwesenheit des Ignatius’
erinnerte, blieb er stehen und warf einen Blick quer durch das Zimmer, wo der Pater General reglos an Durés Seite stand. Sandro konnte in den schwarzen, spanischen Augen des Ordensgenerals weder Trauer noch Betroffenheit noch irgendein anderes Gefühl erkennen, nur die gleichmütige Ruhe eines Waldsees. Sandro zügelte seine Ungeduld und versuchte sich in geistlichen Übungen - zumindest bis seine Gedanken wieder auf Abwege gerieten und er, ohne es zu merken, erneut auf und ab schritt.
»Mentha pulegium.«
Das erste Wort seit einer kleinen Ewigkeit platzte ohne Ankündigung in die nur vom Schnüffeln unterbrochene Stille des Raumes und verklang. Keiner reagierte, auch Sandro nicht. Man hätte bis drei zählen können.
Duré fragte: »Seid Ihr sicher?«
Pinetto trat einen Schritt vom Toten zurück. Er legte die Hände in der Höhe der Hüften übereinander, straffte seine kleine Gestalt, streckte den Kopf in die Höhe und blickte zur Decke. Eine Antwort schien er für überflüssig zu halten. Seine ganze Haltung brachte zum Ausdruck, dass sein Urteil so festgefügt war wie die Fundamente, auf denen Rom stand.
Duré trat näher. Nun schnüffelte auch er. »Man riecht fast gar nichts.«
»Riecht am Stab.«
Duré roch. »Ich halte das für normalen Mundgeruch.«
Pinetto verdrehte die Augen. »Mundgeruch, ja? Dann haltet Ihr vielleicht auch die Beulenpest für eine Hautkrankheit, wie?«
»Ich muss sehr
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