Der Schwarze Phoenix
ist?«
Jonathan nahm den Brief und las ihn.
Mein verehrter Bruder Flink,
es ist viele Jahre her, seit wir das letzte Mal miteinander sprachen. Obwohl Du sicherlich den Verlust meiner Anwesenheit sehr bedauerst, war es in Anbetracht der unschönen Erfahrungen, die wirvor all diesen Jahren gemacht haben, vonnöten, dass sich unsere Wege trennten. Ich vertraue darauf, dass Du nun wieder Herr deiner Sinne bist, nachdem die unerfreulichen Ereignisse Deinen Bruder James betreffend hinter uns liegen.
Ich kann förmlich hören, wie Du jetzt denkst: Warum hat mein guter alter Bruder die Zeit für reif befunden, sich an mich zu wenden ? Nun, um der Wahrheit die Ehre zu geben, es hat eine Art Wiedervereinigung der Gentlemen stattgefunden. Bruder Furchtlos und Bruder Lebemann unterstützen mich bei einem geschäftlichen Vorhaben, von dem wir dachten, dass Du von ihm Kenntnis haben solltest. Wir sind in den Besitz einiger faszinierender Informationen gelangt, die die wahre Identität Deines einzigen verbleibenden Geschwisters betreffen. Dies bedeutet, dass wir die einzigen Personen in Darkside sind, abgesehen von Thomas Ripper selbst (möge ihm ein langes Leben beschieden sein), die wissen, wer die beiden Ripper-Nachkommen sind.
Um wie immer mit offenen Karten zu spielen, unterbreite ich Euch beiden schriftlich folgendes Angebot:
Wir werden demjenigen von Euch beiden (wer auch immer es sein mag), der uns das meiste Geld bietet, die Identität des anderen preisgeben. Dies würde Dir ermöglichen, dass Du dich jetzt Deines Geschwisters entledigen und eventuellen Ärger im Rahmen der Blutnachfolge umgehen könntest. Dies stellt einen Vorteil dar, dessen Wert Dir sicherlichbewusst war, als Du den guten alten James aus dem Wege geräumt hast. Bist Du jetzt nicht froh, dass Du uns um Hilfe gebeten hast?
Du hast sieben Tage Zeit, um uns ein Angebot zu unterbreiten.
Mit brüderlichen Grüßen,
Dein Bruder Herz
»Das ist eine Abschrift«, stellte Arthur fest, während er Jonathan über die Schulter sah. »Unser Freund Nicholas war ziemlich penibel.«
»Er hat Bruder Flink erpresst?«
»Es geht um mehr als das«, erwiderte der Reporter aufgeregt. »Diesem Brief zufolge ist Bruder Flink nicht nur einfach einer der Gentlemen. Er ist auch ein Ripper! Natürlich! Allmählich ergibt alles einen Sinn.«
»In Ordnung«, sagte Jonathan langsam. »Dann hat es Nicholas also geschafft, sich mit den anderen Gentlemen gegen Bruder Flink zu verbünden. Aber hat er wirklich geglaubt, dass er damit durchkommt, wenn er einen Ripper erpresst, ganz zu schweigen von dem zweiten?«
»Vielleicht dachte er, dass er hier in Sicherheit ist«, brummte Carnegie leise vom Fenster aus. »Vielleicht war ihm auch alles egal. Sieh dich hier um, Junge. Kannst du dir vorstellen, wie es ist, wenn man jeden Tag aus diesem Fenster starrt? Was glaubst du, was dabei aus einem Menschen wird?«
Jonathan sah in das Panoptikum hinaus. In jeder Richtung blickte man auf eine dunkle Zelle. Es warenHunderte kleine Gefängnisse des menschlichen Elends. Er zitterte, aber diesmal nicht vor Kälte.
»Lasst uns von hier verschwinden«, murmelte er. »Wohin sollen wir als Nächstes gehen?«
»Zurück ins Büro«, schlug Arthur vor. »Wir haben einige Neuigkeiten für unseren verehrten Verleger.«
Der wütende Aufschrei hallte durch die staubigen Büros des »Kuriers«. Selbst im Keller blickten die Drucker, die schon halb taub vom Lärm der Druckerpressen waren, von ihren Maschinen auf. Sie fragten sich, welcher prominente Bürger diesmal gedroht hatte, sie alle umzubringen, oder wie hoch die Spesenabrechnung wohl gewesen sein mochte, die ein Reporter gerade eingereicht hatte. Und zum hundertsten Mal fragten sie sich, warum sie eigentlich in dieser gefährlichen Branche arbeiteten. Taschendiebstahl oder Unterschlagung erschienen dagegen ein Kinderspiel zu sein.
»Harry?«, kreischte Lucien. »Seid ihr euch sicher?«
Seine entrüsteten Ausrufe wurden von einem heftigen Hustenanfall unterbrochen, der ihn dazu zwang, sich vornüber zu beugen, als hätte man ihm in den Bauch geschossen. Er saß zusammengesunken auf der Kante von Arthurs klapprigem Schreibtisch und sah blasser und müder aus als je zuvor. Zu diesem Zeitpunkt schien ihn allein seine Wut am Leben zu erhalten.
Jonathan nickte.
»Diese kleine Ratte!«, hustete Lucien. »Ich erwürge ihn!«
»Ähm …«, warf Arthur ein. »Es gibt noch ein paar Fragen, die wir ihm besser stellen sollten, bevor Sie ihn umbringen
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