Der schwarze Prinz
Stimme aus der Dunkelheit hinter dem Gitter.
»Mein Name ist Sven’Ya, das weißt du ganz genau, Oegis, Sohn des Fafnir.« Sie hatte entschieden, so höflich wie möglich zu sein, damit er ihr die Antwort, die sie suchte, ohne große Umstände gab. Die Zeit drängte.
»Sven Ya ... das ist der Name, den sie dir gegeben haben«, sagte der Drache und sie sah eins seiner Augen in der Dunkelheit funkeln. »Aber ich kenne deinen echten Namen, Hüterin. Du musst mich nur danach fragen. Ach nein, warte, das kannst du ja nicht.« Er gluckste vor teuflischem Vergnügen, seine Schuppen scharrten über den Fels.
»Darfst du ja nicht. Ist das nicht schrecklich, nicht zu wissen, wer man ist und woher man kommt?«
»Es ist irrelevant«, antwortete Svenya - und sie empfand es tatsächlich inzwischen so. »Was zählt, ist das Hier und Jetzt. Und die Zukunft. Die Vergangenheit interessiert mich nicht.«
»Ach, wenn du nur wüsstest«, sagte er mit einem verspielten Seufzen.
»Ich bin nicht zum Plaudern hierhergekommen, Oegis«, stellte sie klar. »Ich brauche eine Information. Und ich brauche sie schnell.«
Er trat langsam aus dem Schatten heraus, und Svenya musste sich zusammenreißen, um nicht vor Schreck einen Schritt zurück zu machen. Seit ihrer letzten Begegnung war der Drache um einiges gewachsen. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis er mächtig genug war, Alberichs Schutzzauber zu durchbrechen ... und ob sie dann stark genug sein würde, sich ihm in den Weg zu stellen. Doch das war ein Problem, mit dem sie sich beschäftigen würde, wenn es so weit war - jetzt gab es Wichtigeres zu tun.
»Das Schwert Mimung«, sagte sie. »Ich muss wissen, wo es ist.«
»Ach«, machte er mit schnarrender Stimme. »Soeben sagtest du noch, die Vergangenheit interessiere dich nicht.«
» Meine Vergangenheit interessiert mich nicht.«
»Das sollte sie aber.«
»Wo ist Mimung?«, formulierte Svenya die Frage klarer. Oegis war von Alberich verflucht, jede Frage, die man ihm stellte, zu beantworten.
»An Wittichs Seite«, antwortete der Drache.
»Du weichst mir aus«, sagte sie.
»Selbstverständlich«, gab er zurück.
»Wo sind Wittich und sein Schwert?«
»Dort, wo er sich in die Fluten gestürzt hat, um den Zweikampf mit Dietrich von Bern zu vermeiden.«
Svenya spürte, wie der Ärger in ihr hochstieg. »Wo hat Wittich sich in die Fluten gestürzt?«
»Am Rand des Meeres natürlich.«
Svenya wurde klar, dass er das Spiel aus Langeweile so lange weiter treiben würde, wie er konnte. Aber für Spiele hatte sie jetzt keine Zeit. »Gib mir eine direkte und klare Antwort«, forderte sie.
»Und was gibst du mir dafür?«
»Also darauf läuft es hinaus«, sagte sie.
»Darauf läuft es immer hinaus, Hüterin.«
»Sprich, was willst du?«
»Meine Freiheit«, sagte er, ohne zu zögern.
»Dir die zu geben, liegt nicht in meiner Hand, und das weißt du.«
»Du könntest Alberich überzeugen ...«
»Nein«, unterbrach sie ihn ohne Umschweife. Seine Forderung war blanker Unsinn. Svenya konnte nicht eine Bedrohung für Elbenthal und die Menschheit gegen eine andere eintauschen. »Deine Freiheit steht nicht zur Debatte. Was sonst?«
»Hm.« Er schien zu überlegen. »Du könntest schwören, mich nicht zu bekämpfen, wenn ich freikomme.«
»Wenn du zunächst schwörst, weder Elbenthal noch den Elben und obendrein keinem einzigen Menschen auch nur den kleinsten Schaden zuzufügen.«
»Pffh!«, machte er ungehalten. »Dann hast du nichts anzubieten, was mich interessiert, und wir können noch nächtelang hier verbringen bei deinem Versuch, herauszufinden, wo das Schwert, das du suchst, sich befindet.«
Die Situation schien festgefahren, und Svenya konzentrierte sich darauf, eine Frage zu finden, auf die Oegis nicht ausweichend antworten konnte. In Gedanken ging sie die unterschiedlichsten Formulierungen durch, verwarf eine nach der anderen wieder und bemühte sich dabei, gegen ihre immer größer werdende Wut anzukämpfen, um einen klaren Kopf zu bewahren. Doch sosehr sie sich auch anstrengte, ihr wollte einfach keine Fragestellung einfallen, aus der der Drache nicht wieder ein umständliches Rätselraten machen konnte. Da entschied sie, andere Saiten aufzuziehen. Sie drehte sich weg von dem Tor und flüsterte:
»Tega Andlit dyrglast.
Opinberra dhin tryggr edhli.
Dhin Magn lifnja
Oegna allr Fjandi
Enn Virdhingja af dhin Blodh.«
Zeige das verborgen gehaltene Gesicht.
Offenbare
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