Der schwarze Prinz
gestanden hatte, und knurrte misstrauisch: »Wo bist du?«
Sich ihm zu nähern, verursachte ihr ein mehr als nur mulmiges Gefühl ... und doch war es keine Angst ... keine echte Furcht ... obwohl er ihr jetzt, hier drin in seinem Gefängnis, noch größer vorkam, noch gewaltiger und bedrohlicher. Allein eine seiner Vorderklauen war größer als Svenya selbst, und sie wagte kaum, sich zu fragen, ob ihre Rüstung einem Schlag davon standhalten würde.
Sie schwebte zu ihm hin und dann seitlich an ihm vorüber, bis sie hinter ihm war. Trotz ihrer Abneigung gegen den Drachen kam sie nicht umhin, seine animalische, seine mystische Schönheit zu bewundern. Den rötlich schwarzen Schimmer seiner schuppigen Haut, seiner weiten, jetzt angelegten Flügel, den Dornenkamm auf seinem Rücken und Schwanz. Der Schlag seines riesigen Herzens war nun noch deutlicher zu spüren.
Bumm!
Bumm!
Bumm!
Svenya gewann an Höhe und schwebte an dem Dornenkamm entlang nach oben, hin zu seinem vierfach gehörnten Haupt. Hier war es ihrer Einschätzung nach am sichersten. Sie achtete peinlich darauf, ihn nicht zu berühren, um ihren Aufenthaltsort nicht zu früh zu verraten.
»Wo finde ich Mimung?!«, brüllte sie dem Drachen unvermittelt und laut ins Ohr.
Oegis zuckte vor Schreck zusammen, als hätte ihn ein Blitz getroffen. Er hatte sie auf dem Boden vermutet, nicht hier oben - so nah. Doch schon im nächsten Moment warf er seinen Kopf herum und schnappte mit seinem gewaltigen Maul nach ihr. Seine Fangzähne - jeder von ihnen fast armlang - krachten zusammen wie eine riesige Bärenfalle, ganz genau an dem Ort, an dem Svenya eben noch gewesen war. Aber sie war inzwischen bereits auf der anderen Seite seines Kopfes und rief: »Wo finde ich Mimung?!«
Wieder schnellte der Kopf des Drachen herum, und wieder schnappte er zu ... doch ebenso wieder huschte Svenya weg. Diesmal unter seinen Kiefer.
»Wo finde ich Mimung?!«
Sein Kopf klappte nach unten, in der Hoffnung, sie zwischen Kinn und Hals einzuquetschen. Doch inzwischen war Svenya über seinen Hörnern. Sie wusste, was ihn so schreckhaft und damit so wütend machte: Es war der Speer in ihrer Hand. Sie würde ihn nicht einsetzen, aber das konnte Oegis ja nicht wissen. Es bereitete ihr keine Freude, ihn auf diese Weise zu quälen, aber sie konnte auch nicht zulassen, dass er sie quälte, indem er ihre Not, das Schwert zu finden, ignorierte und Rätselraten mit ihr spielte, während ihr die Zeit davonlief und das Schicksal Midgards auf dem Spiel stand.
»Wo finde ich Mimung?«, rief sie erneut.
Oegis stieg mit einem zornigen Brüllen auf die Hinterbeine, so hoch es die Ketten zuließen, und spie Feuer. Dabei schwenkte er den Kopf hin und her, verteilte die Flammen in alle ihm möglichen Richtungen.
Damit hatte Svenya nicht gerechnet und schrie vor Schreck auf, als die lodernden Zungen sie mit voller Kraft trafen. Für einen Sekundenbruchteil war sie sicher, ihr letztes Stündlein hätte geschlagen, doch dann merkte sie, dass ihre Rüstung den Flammen standhielt. Zumindest für den Moment - denn trotz ihres Panzers wurde die Hitze bald unerträglich. So schnell sie konnte, bewegte sie sich aus dem Feuer heraus und entfernte sich von Oegis, um Abkühlung zu finden, denn auch die Luft um ihn herum war wie in einem Hochofen. Doch sie nahm sich nicht lange Zeit, sich zu erholen, und flog wieder an ihn heran.
»Wo finde ich Mimung?!«
Wieder brüllte der Drache und spie ein zweites Mal Feuer. Dann ein drittes, ein viertes und ein fünftes Mal. Wie ein Kolibri, der um eine Blüte schwirrt, wich Svenya aus, um genauso oft, wie das Feuer erlosch, wieder zu ihm zu fliegen und ihn zu fragen: »Wo finde ich Mimung?!«
Schließlich röhrte Oegis, rasend vor Wut: »VINETA! Das Schwert ist in Vineta!«
»Warum nicht gleich?«, rief Svenya. »Wo in Vineta?«
»Im Tempel der Ran!«
Sehr gut! , dachte Svenya - es gab nur ein Problem: Nicht nur, dass sie nicht den blassesten Schimmer davon hatte, wer Ran war; sie hatte außerdem noch nie von einem Ort namens Vineta gehört.
6
Die Augen des Elbenkönigs schienen durch die Wände seines Thronsaales hindurch ins Leere zu starren, während Svenya darauf wartete, dass er ihr erklärte, was der Drache gemeint haben könnte. Hagen stand daneben und schwieg, aber auch der Ausdruck seines Gesichts hatte eine melancholische, wenn nicht gar traurige Note angenommen.
»Ich hätte es wissen müssen...«, sagte Alberich schließlich leise.
»Was?«,
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