Der schwarze Prinz
fragte Svenya, aber Hagen schüttelte beinahe unmerklich den Kopf, um ihr zu bedeuten, zu schweigen und seinen Vater erzählen zu lassen.
»Ran ist ... das Weib des Aegir, des Gottes der Meere«, fuhr der König fort. »Das heißt, sie war es ... bis sie das Ehebündnis brach ... mit meinem Bruder Wieland.« Er stockte - aber nur für einen Moment. »Das kam so: Wieland war der beste Schmied aller Zeiten. So viel besser noch als ich. Aber dieses Talent brachte ihm nichts als Unheil. Eines Tages wurde er im Schlaf gefangen genommen von König Nidhad in Nerike. Nidhad ließ ihm die Sehnen in den Fußgelenken und Kniekehlen mit einer magischen Klinge durchtrennen, sodass sie Jahre brauchten, um zu heilen - nur um sie jedes Mal kurz davor wieder zu zerstören. Er sperrte meinen Bruder in einen einsamen Turm auf der Insel Saevarstödh und ließ ihn Waffen und Rüstungen für sich und seine Krieger schmieden. Aus Rache tötete Wieland die beiden Söhne des Nidhad, als sie ihn einmal heimlich in seinem Gefängnis besuchten, und schmiedete zwei Kelche aus ihren Schädelkappen, Juwelen aus ihren Augen und eine Brosche aus ihren Zähnen. Die Kelche sandte er an den König, die Juwelen an die Königin und die Brosche an deren Tochter. Wieland selbst aber hatte sich in den langen Jahren der Gefangenschaft ein kunstvolles Federkleid und Flügel geschmiedet, mit denen er aus dem Turm über das Meer nach Süden floh. Der lange und weite Flug aber war so anstrengend, selbst für seine schmiedegestärkten Arme, dass er, als er schließlich nahe beim heutigen Rügen das Ufer der Baltischen See erreichte, zu Tode erschöpft auf den Strand sank. Mit Sicherheit hätte er dort sein Leben ausgehaucht, wäre er nicht von Ran, die zu jener Zeit in diesen flachen Wassern lebte, während ihr Gatte anderweitig in der Welt unterwegs war, entdeckt worden. Sie rettete ihn, nahm ihn mit in ihr Reich und pflegte ihn gesund - sodass auch schließlich die Verletzungen an seinen Beinen und Füßen geheilt waren. In all der langen Zeit, die das brauchte, entstanden zwischen ihm und ihr Gefühle. Verbotene Gefühle zwar, aber dafür nur umso stärkere ... und eines Nachts gaben sie sich diesen Gefühlen hin.«
Alberich seufzte tief, und Svenya konnte sehen, dass seine Augen nass geworden waren von ungeweinten Tränen. »Ausgerechnet in dieser unseligen Nacht kehrte Aegir zurück. Oh, wäre er doch nur einen einzigen Tag früher gekommen, dann... So aber ertappte er die beiden, und in seiner Wut erschlug er Wieland ... meinen Bruder. Ran jedoch gelang es, vor dem Zorn ihres Gatten in die Tiefen der Ostsee zu fliehen und sich dort zu verbergen. Nach einer Weile gab Aegir die Suche nach ihr auf und kehrte dem Meer, in dem sein Weib den Treueschwur gebrochen hatte, für immer den Rücken. Schließlich kam die Zeit, in der sich zeigte, dass die Nacht ihrer Untreue Frucht trug unter Räns Herzen, und sie gebar Wittich, den Sohn Wielands. Zusammen mit seinen neun älteren Schwestern, den Ranen, zog sie ihn auf, und als er ein Mann geworden war, übergab sie ihm Mimung, das Schwert seines Vaters, mit dem Wittich zum Gefährten Thidreks wurde. Den Rest der Geschichte kennst du bereits.«
»Das heißt, als Wittich nach seinem Streit mit Dietrich scheinbar lieber in den Freitod ging, anstatt den Freund zu verletzen, kehrte er in Wirklichkeit zu seiner Mutter zurück«, mutmaßte Svenya. Alberich nickte. »Nach Vineta.«
»Also liegt Vineta im Meer?«
»Ursprünglich nicht«, sagte Alberich. »Aber das war lange vor der Begegnung zwischen Wieland und Ran. Einst war Vineta die schönste, größte und mächtigste Stadt an den Ufern der Ostsee. Sogar eine der größten in ganz Europa. Die Menschen dort waren Seefahrer, Fischer und Händler. Sie beteten Aegir an und Rän und hatten den beiden prachtvolle Tempel gebaut, um sich die See gefügig zu machen. Mit der Zeit aber stieg den Menschen ihr Reichtum zu Kopf und sie vergaßen, dass sie ihn dem Meer schuldeten. Und je mehr sie das vergaßen, umso mehr vernachlässigten sie es, Aegir und Ran zu huldigen, und ließen zu, dass neue, jüngere Götter ihren Platz einnahmen. Sie bauten Tempel für Odin und Thor - goldene Tempel, sehr viel prachtvoller als die aus Holz und Stein, die sie für Aegir und Rän errichtet hatten. Besonders Ran erboste sich darüber, und sie drohte den Bürgern
der Stadt, Vineta zu zerstören, sollten sie in ihrem lästerlichen Treiben nicht innehalten. Doch ihre Warnungen wurden in den Wind
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